Seit dem Überfall auf einen 37-Jährigen Familienvater äthiopischer Herkunft am vergangenen Wochenende in Potsdam haben wir ja eine regelrechte Renaissance des Themas Rechtsextremismus in der deutschen Presse- und Medienlandschaft erlebt.
Als ob Rechtsextremismus in den letzten Monaten und Jahren nicht vorkam. Oder als ob die verschiedenen Journalisten ein schlechtes Gewissen hätten und versuchen Versäumtes nachzuholen.
Erschreckende Tendenzen der Verharmlosung
Schon in meinem Artikel „Augen zu und durch – Schlechte Quoten mit Rechtsextremismus“ vom 18. April 2006 habe ich diese Tendenz und diese Berichterstattung etwas kritisiert, weil auf einmal so getan wird, als ob der Überfall in Potsdam etwas Außerordentliches, etwas Einmaliges sei. Aber ganz im Gegenteil, nicht nur dass es sich in Potsdam schon seit längerer Zeit angekündigt hatte. Nein, rechtsextremistische Überfälle sind ein dauerhaftes deutschlandweites Phänomen.
Und ich hatte auch gesagt, dass nun die Tage der großen Populisten aufziehen würden. Politiker und Journalisten, die sich für ein paar Tage des Themas Rechtsextremismus annehmen und große Töne Spucken, um ihre Beteuerungen kurz darauf auch schon wieder zu vergessen.
Videotext-Artikel
Das konnte man zum Beispiel im RTL-Videotext ganz schön erkennen. Dort wurden in den vergangenen Tagen immer wieder kleine Artikel veröffentlicht, die sich mit dem Überfall in Potsdam beschäftigten. Es waren nur kleine und kurze Meldungen, aber man wusste in der RTL-Videotext-Redaktion, dass es ein Thema war/ist, welches die Menschen interessiert.
Gestern konnte man dann die große Schlagzeile à la Bild lesen: „Justizskandal in Potsdam?“. Und wer dann die Seite 120 aufgerufen hatte, der konnte dort tatsächlich einen Artikel lesen, in dem es hieß, dass sich in Potsdam ein Justizskandal abzeichnen würde.
Grundlage der ganzen Story war ein Interview des Verteidigers einer der beiden Tatverdächtigen, der sich über die Vorwürfe aufregte. Denn angeblich hätte sein Mandant ein Alibi und dennoch stände er im Verdacht der Tat.
Sensationsgier und seine Folgen
Versteht mich jetzt nicht falsch! Ich begrüße es, dass die deutsche Presse sich des Themas Rechtsextremismus wieder annimmt. Allerdings befürchte ich, dass die momentane Berichterstattung im Sinne der Sensationsgier, doch mehr zerstört als gutes zu bewirken!
Man sieht es schon alleine daran, dass die Berichterstattung mittlerweile langsam umzuschwenken scheint. Am Anfang war die Rede davon, dass der 37-jährige Potsdamer am Boden liegend hemmungslos und ohne Gnade zusammen geschlagen wurde.
Mittlerweile stellt sich raus, dass es so nicht war. Vielmehr waren es einige wenige gezielte – aber dennoch wirkungsvolle – Schläge, die ihn niederstreckten.
Achterbahnfahren und abhärten
Allerdings befürchte ich, dass nun viele Menschen sagen: „Och, sooo schlimm war das dann ja jetzt doch nicht“. Wenn am Anfang alles hochstilisiert und später dann wieder heruntergeschraubt wird, dann ruft dies bei den Rezipienten eine nicht zu unterschätzende Verharmlosung hervor. Da wird schnell vergessen, dass es egal ist, ob nur 1, 4 oder 10 Schläge oder Tritte gefallen sind. Fakt ist, dass das Opfer auf der Intensivstation um sein Leben ringt.
Überhaupt wundert mich, wie sich der ganze Fall und das, was mittlerweile dazu zu lesen ist, entwickelt. Es erinnert mich sehr stark an die Aktionen in Thüringen. Dort werden viele Fälle, die offensichtlich mit Fremdenfeindlichkeit in Verbindung stehen im Nachhinein von Polizei und Politikern als nicht-fremdenfeindlich eingestuft und verkauft.
Auf den Spin kommt es an
Ähnliches zeichnet sich auch langsam in Potsdam ab. Klar, der Herr Schonbohm ist natürlich der erste, der ein Interesse daran hat. Er ist als Innenminister von Brandenburg der verantwortliche Politiker dafür, dass in Sachen Rechtsextremismus zu wenig unternommen wird.
Er halte die Hinweise der Bundesanwaltschaft auf rechtsradikale Motive für die Tat zumindest für fragwürdig. Vielleicht sei der Hintergrund weniger spektakulär, sagte Schönbohm. (Quelle: Spiegel-Online)
Ihm könnte es nur recht sein, sollte es gelingen, den Überfall auf Ermyas M. als „normalen“ Gewaltakt von zwei betrunkenen Jugendlichen zu den Akten zu legen und als solchen auch in die Statistik eingehen lassen zu können.
Schäuble scheut Verantwortung
Ein zweiter Politiker, ebenfalls der CDU, geht in dieselbe Richtung. So hat Wolfgang Schäuble sich die Frechheit herausgenommen zu meinen:
Auch blonde, blauäugige Menschen würden überfallen. (Quelle: Spiegel-Online)
Hallo, geht`s noch? Das ist mal wirklich eine Äußerung, die an Unverschämtheit kaum noch zu überbieten scheint.
Und ihr wisst ja, was dieser Mensch, der Herr Schäuble, in unserem Staat für eine Funktion bekleidet. Richtig, wie Jörg Schönbohm, so ist auch Wolfgang Schäuble Innenminister. Allerdings nicht nur Innenminister eines einzelnen Bundeslandes, sondern der gesamten Bundesrepublik Deutschland.
Außen hui, Innen pfui
Und richtig, als oberster Minister für Inneres ist der gute Mann auch für die Sicherheit in Deutschland verantwortlich. Aber ganz bestimmt nicht nur für die Sicherheit aller blonden blauäugigen deutschen Staatsbürger. Nein, er ist für die Sicherheit aller sich in Deutschland befindlichen Personen zuständig.
Und dass er sich als Verantwortlicher einer solchen Aufgabe in dieser Weise äußert und Rechtsextremismus als nun mal gegeben und natürlich hinnimmt, ist sehr erschütternd.
Rechts passt nicht ins Konzept
Klar, das Ganze passt auch nicht so in das Konzept der Christdemokraten: Denn islamistische Fundamentalisten sind ja sooo viel gefährlicher. Programme gegen islamistischen Extremismus, gegen Terrorismus müssen finanziert werden. Da kommen Rechtsextremismus und Rassismus sehr ungelegen.
Wenn man solche Statements hört, so könnte man meinen, die CDU-Fraktion säße nicht umsonst auf der rechten Seite im Plenarsaal des Deutschen Bundestages.
Da kann es den Herren nur Recht sein, sollte sich der Fall möglichst mit Hinweis auf einen nicht-fremdenfeindlichen Hintergrund baldmöglichst zu den Akten legen lassen können.
Augen zu und durch, so das Motto!
So arbeiten die Innenminister und Politiker hierzulande nur allzu gerne: Die Überfälle und Straftaten immer schön als von betrunkenen Jugendlichen abstempeln und ja nicht in die Statistik über rechtsextremistische Vorfälle einfließen lassen.
So entledigt man sich seiner Verantwortung und kann immer schön mit „sauberen“ Zahlen aufwarten, um die Schlafmützigkeit zu erklären.
Eine erschütternde Videotext-Umfrage
Schockiert hat mich auch, was eine Umfrage im Sat.1-Videotext für Ergebnisse liefert. Dort wird aktuell folgende Frage gestellt:
Rechte Gewalt in Potsdam: Sollte es härtere Strafen gegen Neonazis geben?
Und jetzt ratet mal, wie das dortige aktuelle Ergebnis aussieht?! Na ja, schlappe 48,4% (3516 Anrufe) der Anrufer sind dafür. Demgegenüber stehen 51,6% (3743 Anrufe), die eine härtere Gangart gegen Neonazis ablehnen. (Quelle: Sat.1-Videotext)
Unabhängig davon, dass eine solche Umfrage alles andere als repräsentativ ist und eigentlich gar nichts aussagt, so macht es dennoch etwas nachdenklich.
Die Folge: Verharmlosung!
Wirkt sich das Vorgehen von Presse und Politikern im aktuellen Fall von Potsdam vielleicht doch negativ auf die Bewertung eines großen Teils der Bevölkerung hinsichtlich von Rechtsextremismus aus?
Die verantwortlichen Politiker sollten sich vielleicht einmal überlegen, was sie mit ihren Äußerungen für Folgen bewirken und sich fragen, ob sie die richtigen für ihren Job sind! So wie sie sich aktuelle geben und äußern wage ich aber zu bezweifeln, dass die richtigen Menschen an den Hebeln der Macht zu sitzen scheinen. Und für ihre Unverfrorenheit auch noch mit dem Geld der Bevölkerung belohnt werden.
bluejax
, den 23. April 2006
Quellen und Links:
http://www.bluejax.net/feed/
http://www.bluejax.net/2006/04/18/augen-zu-und-durch
-%e2%80%93-schlechte-quoten-mit-rechtsextremismus/
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,412603,00.html
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,412195,00.html
http://www.sat1.de/service/teletext/182_01.html