In welche Richtung steuert eigentlich unsere Gesellschaft? Wohl kaum eine andere Frage bewegt und polarisiert die Öffentlichkeit seit Monaten so wie diese.
Vieles wirkt im Rückblick meist zwangsläufig, logisch und daher unausweichlich. Das gilt für jeden Einzelnen von uns, wie auch für gesamtgesellschaftliche Entwicklungen. Ein Aufwachsen im von Landflucht gebeutelten dörflichen sächsischen Umland? Unausweichlich, dass Jugendliche für nationales Gedankengut zugänglich werden! Die Weltwirtschaftskrise in den 1920er Jahren? Musste zwangsläufig zu einer Diktatur in Deutschland führen! Der Aufstieg von Pegida und AfD? Logisch, dass sich CDU und SPD nach rechts bewegen!
Doch wenn immer alles zwangsläufig, logisch und unausweichlich ist, wieso fällt es uns dann doch so schwer heute bereits zu sagen, in welche Richtung aktuelle Entwicklungen definitiv führen werden? Weil zum Glück eben doch nicht immer alles nur stringent vorherbestimmt ist. Dinge können verändert werden – sowohl durch unvorhergesehene Ereignisse, wie auch durch ein aktives Eingreifen. Und: Durch Visionen!
Übertragen wir diesen Gedanken doch auf die gegenwärtige Stimmungslage in Deutschland. Ein Land, das sich gerade von einer kleinen Meute rechtskonservativer und neoliberaler Kräfte in Geiselhaft nehmen und vor sich her treiben lässt. Eine hyperventilierende Gesellschaft, die angeführt von mit der aktuellen Situation oftmals überforderten oder von Eigeninteressen getriebenen Akteuren aus Medien und Politik vermeintlich ihre rechte Ein-Nordung wiederentdeckt.
Als Reflex auf eine weitgehend imaginär erzeugte Angst der Einen wird da schnell mal ein vorher schon kaum gelebtes (Menschen-!)Recht auf Asyl faktisch verwehrt und rechter Terrorismus gedeckt, wohingegen die Kritik der Anderen gegen eine weitere Liberalisierung der Märkte in Form von im geheimen verhandelten Freihandelsabkommen fortwährend wie Wassertropfen an Teflon abzuperlen scheint.
Wenn wir heute fünf Jahre in die Zukunft schauen, scheint es rückblickend geradezu zwangsläufig, dass die AfD zusammen mit der CDU und der CSU in eine Schwarz-Blau-Weise-Koalition eintritt. Logisch, dass Trump als Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika gerade eine Mauer an der Grenze zu Mexiko baut. Unvermeidlich, dass sich Europa, von rechtspopulistischen Regierungen gelenkt, längst in national abgeschottete Trutzburgen aufgespaltet hat, die lediglich monetäre Interessen miteinander verbinden. Die globale wie kontinentale Gesellschaft hat ihre Koordinaten eben nach rechts verschoben, wovon eben in aller erster Linie jene rechtskonservativen Kräfte profitieren, die bereits 2016 ihr rechtes Profil geschärft haben (außer der SPD). Zeitgleich werden die von Gier getriebenen Eigeninteressen der Einzelnen weiter zu- und die Macht der Konzerne zunehmend Überhand nehmen. Eine zwangsläufige Entwicklung. Logisch. Und unvermeidlich.
Ja, es könnte in der Tat so geschehen. Und wenn, dann musste es auch so kommen. Und es fällt mir in wenigen Augenblicken bereits genug Stoff dafür ein, aus diesen wenigen Gedankenfetzen einen spannenden Endzeit-Roman zu schreiben, der jedem Leser die Haare zu Berge stehen und den Angstschweiß den Rücken hinunterlaufen ließe. Ich allerdings weigere mich dieses vermeintlich zwangsläufige, logische und unvermeidliche Szenario zu akzeptieren. Vielmehr glaube ich daran, dass es genau in die andere Richtung gehen wird – die rückblickend als mindestens ebenso stringent erscheint:
Wir werden eine Gesellschaft haben, die den rechtskonservativen und neoliberalen Kräften die kalte Schulter zeigt. Eben weil sie diese entlarvt, was sie sind, nämlich ein spalterisches Gift, das von Angst, Hass und persönlicher Gier einzelner getrieben wird und auf das populistische Einheiten aufspringen, in der falschen Annahme, auf das richtige Pferd zu setzen.
Stattdessen werden wir eine Gesellschaft haben, die in den vorangegangenen Jahren nachhaltige Wurzeln geschlagen hat, weil sie im Kampf gegen jene Gefahren zusammengerückt ist, die sie mit ihrer Angst und ihrem Hass verunsichern, instrumentalisieren und gegeneinander aufbringen wollte.
Eine Gesellschaft, die sich soziale Gleichheit, Gleichberechtigung, Empathie, friedliches Miteinander, Toleranz und Respekt nicht nur auf die Fahne geschrieben hat, sondern aus vollster Überzeugung lebt.
Eine Gesellschaft, in der die Einzelnen zu Gruppen werden, die sich wiederum im Kollektiv gegenseitig unterstützen und jedem Einzelnen helfen.
Und wir werden erleben, wie all dies nicht nur Südamerika (durch diverse soziale Bewegungen), die USA (durch Sanders), Großbritannien (durch Corbyn) oder Spanien (durch Podemos), sondern auch die gesellschaftspolitische Landschaft in Deutschland verändern wird. Die Menschen werden ihren Unmut über das gegenwärtige politische System nicht mehr weiter in zutiefst selbstzerstörerischer Weise (AfD) oder in selbstbetrügerischer Apathie ausleben, sondern erkennen, dass sie als aktiver Teil der Zivilgesellschaft konstruktiv auf eine Besserung einwirken und an der Gestaltung einer besseren Zukunft mitgestalten können.
Ob in fünf Jahren oder in zehn, ist ganz gleich. Ich glaube an diese sozialromantische Vision der Zukunft, die im Rückblick so zwangsläufig, logisch und unausweichlich erscheint. Man muss nämlich nicht alles akzeptieren, was vermeintlich vorherbestimmt zu sein scheint. Wichtiger ist es, nach den eigenen Werten und Überzeugungen zu handeln und sich davon nicht durch äußerliche Einflüsse abbringen zu lassen, nur um letztlich auf der vermeintlichen „Gewinnerseite“ zu stehen. Sonst haben wir ganz schnell eine selbsterfüllende Prophezeiung.
Lasst es uns daher nicht zulassen, dass sich unsere schlimmsten Befürchtungen erfüllen und unsere Gesellschaft in fünf Jahren so weit rechts steht, dass wir rückblickend sagen müssen, dass es unausweichlich war.
Denn nichts ist unausweichlich. Erst recht nicht das Falsche.