Seitdem ich mich intensiv mit Medien auseinandersetze – und das sind durchaus schon einige Jahre – habe ich wohl selten so eine spannende Zeit erlebt, wie aktuell. Was da gerade medienpolitisch, aber auch kommunikationswissenschaftlich passiert, dürfte in dieser Form wohl zum ersten Mal so auftreten in Deutschland.
Wenn ich von der Medienpolitik spreche, dann dürften wohl die meisten ahnen, auf welches Thema ich im Kommenden zu sprechen kommen möchte, richtig: Die (sozial-)medialen Vorgänge rund um die Kandidatenkür des deutschen Bundespräsidenten. Momentan schwappt ja eine mediale Welle der Gauck-Sympathie durch die deutsche Presselandschaft, die in dieser Form wohl noch nicht stattgefunden haben dürfte. Da titelt die Welt, das konservative Leitmedium aus dem Hause Axel Springer, das traditionell sehr CDU-nah ist, auf der Titelseite „Warum Gauck die bessere Wahl wäre als Wulf“ und legt wie sämtliche anderen Springer-Zeitungen in den darauffolgenden Tagen ein ums andere Mal nach. Die Bild am Sonntag – ebenfalls aus dem Hause Springer – titelte vergangenes Wochenende in Anlehnung an die Kampagne von Barack Obama gar „Yes we Gauck“. Und der SPIEGEL legte am Montag mit dem Titel „Joachim Gauck – Der bessere Präsident“ nach.
Der Aufstand im Social Web
Noch interessanter wird das ganze allerdings, wenn man einen Blick ins Internet wirft. In die Sozialen Medien und Sozialen Netzwerken wie beispielsweise Twitter, Facebook oder Blogs. Da werden auf einmal virtuelle Unterschriftenlisten ausgelegt, auf denen sich umgehend Tausende von Menschen eintragen und damit ihre Unterstützung von Gauck als Bundespräsidenten zum Ausdruck bringen. Je nach Tageszeit werden bei Twitter minütlich oder sekündlich unzählige Tweeets mit Gauck-Bekundungen veröffentlicht. Die Profilbilder der Nutzer, die auf Twitter einen Tweet mit dem Hashtag #mygauck publizieren werden auf einer Aktionsseite automatisch gesammelt und ergeben zusammen ein großes Portraitbild von Joachim Gauck. Auf Facebook und studiVZ gründen sich innerhalb kürzester Zeit Gruppen, in denen sich Tausende von Nutzern zusammenschließen und „Joachim Gauck for President“ skandieren. Auf der Seite www.mein-praesident.de wird versucht alle Aktionen und Berichte zu bündeln und zusammenzuführen.
Und was machen die (Massen)Medien? Sie stürzen sich auf die Bewegung im Netz und schreiben Berichte darüber. Nebenbei publizieren sie weitere Artikel, in denen sie er- und begründen, wieso Joachim Gauck der geeignetere Präsident gegenüber Christian Wulff wäre. Die Sozialen Medien referenzieren die Massenmedien, die Massenmedien referenzieren die Sozialen Medien und immer so weiter – man könnte durchaus fast schon von einer Interaktion sprechen. Wer, wie und wo das ganze Spielchen letztlich angefangen hat, kann schon jetzt keiner mehr genau sagen, das ist aber auch völlig egal.
Strippenzieher? Egal!
Was den meisten im Social Web längst bekannt sein dürfte, nämlich, dass die Initiatoren hinter einigen der genanten Initiativen und Aktionen von Personen aus dem SPD-Umfeld stammen, wurde bis heute kaum thematisiert. So mancher Blog vermutet dahinter schon eine von der Opposition bezahlte Kampagne, der die tausenden von Nutzern im Social Web zum Opfer gefallen sind.
Ist das so? Was bedeutet es für die Gesellschaft und die Demokratie, wenn auf einmal einflussreiche Massenmedien für einen der beiden Kandidaten Stimmung machen und dabei durch SPD-nahe Menschen über Soziale Medien unterstützt werden (oder umgekehrt)? Ist das ganze noch qualitativer Journalismus, was wir beobachten oder befinden wir uns inmitten einer groß angelegten PR-Kampagne?
Die Antwort ist eigentlich ganz einfach: Beides ist richtig! Und es wird sicherlich überraschen, wenn abilify for autism ich sage, dass das überhaupt nicht schlimm ist!
Das Arenenmodell der Öffentlichkeit
Kann sich noch jemand an meinen Artikel „Social Payment und Flattr: Digitalen Inhalten einen reellen Wert verschaffen“ aus der vergangenen Woche erinnern? Dort habe ich im Zusammenhang mit der Erstellung von journalistischen Inhalten das „Arenenmodell der Öffentlichkeit“ von Friedhelm Neidhardt angesprochen. Und auch dieses Mal ist das Modell meiner Meinung nach hervorragend dazu geeignet, um zu verstehen, was momentan in der „Causa Gauck“ eigentlich passiert.
Das Arenenmodell beschreibt, was unter den Begriffen „Öffentlichkeit“, „öffentlicher Meinung“ und „veröffentlichter Meinung“ zu verstehen ist und veranschaulicht die Kommunikation von und zwischen clomid ovulation calculator Medien, Public Relations und Publikum. In einem großen Theater (einer Arena) treten auf einer Bühne unterschiedliche „Sprecher“ (PR) und „Kommunikateure“ (Medien/Journalismus) auf, so genannte Öffentlichkeitsakteure. Im Saal sitzt das Publikum (Gesellschaft) und folgt den Darbietungen auf der Bühne. Die Öffentlichkeitsakteure treffen sich in der Arena alleine aus dem Grund, um bestimmte Themen und Meinungen zu äußern und an das Publikum heranzutragen. Das Publikum wiederum befindet sich in der Arena, da es ein Interesse an Unterhaltung und an Informationen hat und sich durch die – durchaus nach politischen, ökonomischen und ethischen Interessen strukturierten – Botschaften Orientierung erhofft.
Öffentliche Konsonanz erzeugt Druck auf die Politik
Öffentliche Meinung nach dem Arenenmodel entsteht durch „Arenenkonsonanz“, das heißt durch die Häufung und Fokussierung der Meinungen und Informationen, die von der Bühne an das Publikum herangetragen werden. Öffentliche Meinung in diesem Zusammenhang ist also nicht zwangsweise die Publikumsmeinung, sondern vielmehr die (übereinstimmende) „veröffentlichte Meinung“ der Öffentlichkeitsakteure. Kommt es zu einer Konsonanz von veröffentlichter Meinung und Publikumsmeinung, dann entsteht eine „verstärkte“ öffentliche Meinung, die zu einem besonders großen Druck auf die Politik führen kann.
Wenn hingegen zwischen der veröffentlichten Meinung und der Meinung des Publikums ein zu großer Unterschied besteht, ein (großer) Teil des Publikums sich also nicht von der öffentlichen Meinung repräsentiert sieht, dann kann es innerhalb des Publikums zu Mobilisierungen kommen, die zum Ziel haben selbst Zugang zur Öffentlichkeitsarena bzw. zur Bühne zu bekommen, um damit die öffentliche Meinung, die Bevölkerungsmeinung sowie politische Entscheidungsprozesse zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von sozialen Bewegungen.
Die Politik beobachtet die Öffentlichkeit
Die Politik wiederum beobachtet die Vorgänge in der Öffentlichkeit (Arena) und die vorherrschende Meinung in der Arena und versucht anschließend darauf zu reagieren. Im Idealfall ist es so, dass die Politik sich der öffentlichen bzw. verstärkten Öffentlichen Meinung beugen muss, womit das Publikum (oder die Gesellschaft) selbst einen Einfluss auf die Politik ausüben kann. Oder die Politik versucht selbst durch PR- und Medienarbeit Einfluss auf die Bühne und damit auf die öffentliche Meinung zu bekommen.
Die Öffentlichkeit als intermediäres System hat also die Funktion zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Teilsystemen wie beispielsweise Politik und Bevölkerung zu vermitteln und einen Austausch herzustellen. Gleichzeitig kann die Öffentlichkeit somit auch als mächtiges und in einer Demokratie durchaus wichtiges Gegengewicht zum politischen System verstanden werden!
Na, kommt euch das ganze nicht etwas bekannt vor, wenn ihr an die zu Beginn des Artikels beschriebenen aktuellen Vorgänge und Geschehnisse denkt?
Die Gesellschaftliche Verantwortung der PR
Ich möchte allerdings nochmal kurz cymbalta and adderall auf etwas anderes eingehen, nämlich auf die Frage, was und wie „böse“ Public Relations eigentlich ist. Ohne jetzt ganz weit auszuholen und die vielen Definitionen von PR zu analysieren, möchte ich auf eine gesellschaftliche Funktion hinweisen, die der Public Relations durchaus zu zugestehen ist. Denn für eine pluralistische und demokratische Gesellschaft, in der unzählige Meinungen und Ansichten existieren, ist es wichtig, dass jede einzelne Gruppe die Möglichkeit hat, ihre eigenen Interessen kund zu tun und im besten Falle durchzusetzen. Und hier kommt dann die Public Relations ins Spiel, sie versucht nämlich, den Interessen und Meinungen der verschiedenen Gruppierungen Gehör zu verschaffen.
Oder um es mit dem Arenenmodell zu beschreiben: Die PR bringt die Botschaften von einem Teil des Publikums auf die Bühne und verbreitet sie von dort aus zusammen mit den Kommunikateuren (Medien) an ein disperses Publikum. Im Idealfall werden also durch PR und mit Unterstützung der Medien möglichst viele Themen und Meinungen aus dem Publikum aufgegriffen und an die Öffentlichkeit gebracht, so dass im öffentlichen Diskurs ein Meinungsbildungsprozess angestoßen werden kann, der schlussendlich zu einer verstärkten öffentlichen Meinung führt. In mancher PR-Definition wird deswegen auch schon mal von der PR als Brückenbauer im sozio-ökonomischen Raum gesprochen!
Die Bedeutung für die „Causa-Gauck“?
Was heißt das nun für die aktuelle Thematik rund um Joachim Gauck und das Verhalten und Auftreten der Medien und Sozialen Medien? Ganz einfach: Zuerst einmal haben wir eine ganz klare Dissonanz zwischen der Meinung eines (zunehmenden?) Teils des Publikums und den (entscheidenden) politischen Akteuren. Das Ganze wird zusätzlich dadurch verstärkt, dass momentan offensichtlich eine weit verbreitete Unzufriedenheit mit der Arbeit der schwarz-gelben Koalition im Generellen vorherrscht.
Die Position des Bundespräsidenten eignet sich zudem ganz besonders, da die Gesellschaft (oder das Publikum) hier keinerlei direkten Einfluss ausüben kann, sondern sich den Entscheidungsträgern der momentanen Regierungskoalition und einer in ihren Augen nicht hinnehmbaren Entscheidung ausgeliefert sieht. Was folgt ist der Zusammenschluss von Publikumsteilen zur Formierung einer (neuen) sozialen Bewegung, die versucht über Öffentlichkeitsarbeit (PR) ihre Meinung auf die Bühne und von dort in den Raum der Arena zu bekommen. Ziel ist es, im Idealfall einen solch starken Druck auf die Politik auszuüben, dass diese sich der Öffentlichkeit beugen muss.
Eine soziale Medien-Bewegung
Interessanterweise muss das Publikum im Falle von Gauck aber gar nicht ausschließlich auf die Public Relations bauen, da sie nämlich Unterstützung von den Kommunikateuren (den Medien) erhält. Und dennoch, wenn man – wie ich – die Sozialen Medien nicht nur als Form von (quasi) Journalismus sondern viel mehr noch als Form von (Eigen-) PR begreift, ergibt sich auf einmal die Situation, dass das Publikum über die Sozialen Medien auf einmal selbst versucht auf die Bühne zu klettern und dabei sogar von den Medien die Hand zur Hilfe ausgestreckt bekommt.
Oftmals wird von den Medien als vierter Gewalt in einer demokratischen Gesellschaft gesprochen, deren Aufgabe und Selbstverständnis es ist, der Politik auf die Finger zu schauen und die gleichzeitig über die Macht verfügt, durch die Herstellung von öffentlichem Druck eingreifend aufzutreten. Inzwischen hat das Publikum bzw. die Gesellschaft, die bisher immer (fast) außen vor war und lediglich über den Einsatz von Public Relations und durch die anschließende Hilfe der Medien ein Thema auf die öffentliche Agenda bringen konnte, selbst ein wichtiges Instrument, mit dem sie ihre eigenen Interessen öffentlichkeitswirksam verbreiten kann.
Soziale Medien gewinnen an Relevanz
Auch wenn Soziale Medien noch längst nicht die öffentliche Macht haben (können) – man beachte zudem, dass es sich bei den Nutzern von Social Media auch nur um eine Teilöffentlichkeit handelt- , wie sie traditionellen Massenmedien besitzen, so sind sie durchaus dazu geeignet, um sich als soziale Bewegung zusammenzuschließen und pr-ähnlich die eigene Meinung an die Massenmedien und gleichzeitig auch an einen Teil des Publikums heranzutragen.
Ob hinter den einzelnen Twitter-Accounts, Aktionen oder eingerichteten Webseiten nun eine unabhängige Person, ein frei handelndes Mitglied der SPD oder ein offizieller Parteiapparat steht, ist deswegen auch insofern egal, da es sich so oder so um PR-Arbeit handelt, die über den jeweiligen Kanal betrieben wird. Egal ob die Meinung bzw. Ansicht einer unabhängigen Person, eines frei handelnden Mitglieds der SPD oder einer Partei darüber vermittelt wird, die Intention ist jedes Mal die gleiche: Partikulare (Eigen-/Fremd-) Interessen einer Teilöffentlichkeit zu publizieren und damit entweder die mächtigen Massenmedien oder gar direkt einen Teil des Publikums zu erreichen, für die eigenen Interessen einzuspannen und zu beeinflussen um letztlich eine verstärkte Öffentliche Meinung herzustellen und im Idealfall einen solch großen Druck auf die Politik auszuüben, dass diese den eigenen Interessen entsprechend handelt.
Sozialmediale Intereffikation
Wie gesagt, medienpolitisch aber auch kommunikations- und gesellschaftswissenschaftlich ist das alles, was da gerade passiert hochspannend. Ich muss mich gerade wirklich zügeln an dieser Stelle einen Punkt zu machen, obwohl es doch noch so viele weitere Aspekte gibt, auf die ich gerne eingehen würde. Was das Zusammenspiel von Journalismus bzw. den Medien, der PR und den Sozialen Medien anbelangt sehe ich mich jedenfalls mal wieder bestätigt, das alles behandle ich momentan in meiner Diplomarbeit unter dem Arbeitstitel „Sozialmediale Intereffikation“.
So bleibt mir an dieser Stelle nur noch die Frage aus dem Titel zu beantworten: „Dürfen die das?“ Ja, sie dürfen! Und vielleicht müssen sie sogar… Von wegen Politikverdrossenheit, womöglich profitiert nicht zuletzt die Demokratie von der öffentlichkeitswirksamen und in dieser Form einmaligen Debatte. Es wäre ihr durchaus zu wünschen!
Nachtrag: In eigener Sache
Eines wollte ich noch angemerkt haben: Ich bin traditionell ein sehr medienkritischer Mensch und setze mich schon seit Jahren eher kritisch und differenziert mit der Rolle und dem Verhalten der Medien auseinander. Das hat sich nicht zuletzt regelmäßig auch in den Artikeln meines seit inzwischen mehr als fünf Jahren bestehenden Blogs Bluejax.net gezeigt. Ich halte den Medienjournalismus für elementar wichtig! Und auch im vorliegenden Gauck-Fall waren meine ersten Reflexe eher medienkritisch. Erst die nähere Auseinandersetzung mit dem Thema und der Medientheorie hat mich schlussendlich zu der vorliegenden Betrachtungsweise geführt, was nicht heißt, dass ich das Ganze nicht nach wie vor kritisch beäuge und es auch ganz anders interpretiert werden kann!
Ich bin mir auch ziemlich sicher, dass man das in der nächsten Ausgabe von ZAPP anders bewerten wird! Aber das ist ja das schöne und so soll es sein, es muss unterschiedliche Meinungen, Bewertungen und Betrachtungsweisen geben. Erst damit macht nämlich der Journalismus, insbesondere aber auch der Medienjournalismus, Sinn. Ich bin gespannt und freue mich auf jeden PorNoKratie-kritischen Beitrag, ich liebe Diskussionen!
ZAPP: Und hier gibt`s den aktuellen ZAPP-Beitrag zum Thema, der weniger „hart“ ist, als ich erwartet hatte. Soooooo weit liegen wir im Grunde gar nicht auseinander…