Sagt mal, in was für einer Zeit leben wir denn eigentlich? Was sind denn das alles für Nachrichten, die mich in der letzten Zeit erreichen? Ich höre immer wieder Vorfälle im Zusammenhang mit Rechtsradikalismus, die mir die Haare zu Berge stehen lassen.
Die NPD-Aufmärsche in Erfurt hatte ich ja bereits erwähnt, ebenso die Überfälle von Rechtsradikalen auf Bürger und Studenten in Ilmenau, aber es gibt noch weit schlimmere Geschichten:
Ganz krass ist ja mal der folgende SPIEGEL-Artikel unter http://www.spiegel.de/panorama/0,1518,362395,00.html
Da stehen Dinge drinnen, da bekommt man es wirklich mit der Angst zu tun. Es wird von den Ausmaßen rechter Gewalt berichtet, wie Neonazis Menschen aus purem Hass oder auch nur aus Lust am Morden töten, bedrohen, verprügeln, vergewaltigen. Natürlich, es mögen nur Einzelfälle sein, die es in anderen Szenen auch geben soll, aber erschreckend ist es dennoch. Besonders, wenn man erfährt, dass diese Gewalttaten in den letzten Jahren kontinuierlich zunahmen.
Sagt mal, in was für einer Welt leben wir denn? Muss jeder normale Bürger Angst haben? Können sich Ausländer oder Minderheiten nicht mehr sicher fühlen? Das kann doch nicht sein.
Wie heißt es im Grundgesetz Artikel 1, Absatz 1: „Die Würde des Menschen ist unantastbar!“ Sollte dieses wichtigste aller Menschenrechte gerade hier in Deutschland nicht mehr gewährleistet sein? Es scheint fast so. Denn wenn man hört, dass Ausländer gejagt, Antifaschisten bedroht, und „Andersgläubige“ verfolgt werden, dann sehe ich schwarz. Oder soll ich besser sagen: ich sehe braun?!
Natürlich, es gibt viele verschiedene Meinungen und Einstellungen. Und ja, wenn wir ein anderes Grundrecht beachten, so hat „jeder das Recht seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten“ (GG Artikel 5, Absatz 1). Demnach haben sowohl die Rechten das Recht ihre Meinung zu vertreten, wie auch alle anderen das Recht besitzen, den Rechten entgegenzutreten und eine andere Meinung zu äußern. Natürlich kann ich die Einstellung der Neonazis nicht begreifen. Natürlich demonstriere ich dagegen und kritisiere sie. Aber wenn ich diese Rechte für mich beanspruche, so muss ich sie (wohl oder übel) auch der anderen Seite zubilligen. Aber im Gegenzug erwarte ich auch, dass meine Rechte geachtet werden. Und so darf es einfach nicht sein, dass demokratische, antifaschistische Menschen von Neonazis verfolgt, bedroht und verletzt werden!
Blättert man weiter im Deutschen Grundgesetz stößt man auf den Artikel 2: „Jeder hat das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit.“ Auch dieses Grundrecht untermauert das, was ich schon gesagt habe, niemand darf wegen seiner Einstellung unterdrückt werden. Das heißt auch, dass Menschen, die einen anderen Glauben haben das Recht auf Toleranz besitzen. Wer kann sich das Recht nehmen gegen Muslime, Juden oder Hindus zu wettern? Eben, keiner! Denn wir leben nun mal in einer Welt, in der viele Menschen unterschiedlichen Glaubensrichtungen angehören. Und niemand darf jemanden anderen Glaubens dafür bestrafen. Es gibt keinen „richtigen“ Glauben und es gibt auch keinen „falschen“ Glauben und erst Recht darf niemand wegen seines Glaubens verfolgt werden.
„Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich.“ (GG Artikel 2, Absatz 2) Damit dürfen sich Neonazis nicht das Recht raus nehmen, Ausländer, Antifaschisten oder überhaupt andere Menschen zu verletzten, zu quälen oder gar zu töten. Natürlich gilt dieses Recht auch umgekehrt: Kein Nazi darf wegen seiner Einstellung verletzt oder getötet werden.
Würden sich alle Seiten an diese Vorgaben aus dem wichtigsten aller Deutschen Gesetzesvorgaben halten, so würde ein ausgeglichenes Gleichgewicht herrschen. Es gäbe Friede und keiner käme zu Schaden. Jeder könnte seine Meinung ohne Angst verbreiten. Jeder könnte seine Neigungen und Religionen ohne Gegenhass ausleben. Es würden alle friedlich miteinander Leben. Aber leider scheint dies nur Illusion zu sein.
Nicht nur wer besagten SPIEGEL-Artikel gelesen hat, wird feststellen, dass mittlerweile eine nicht zu unterschätzende Gefahr von der rechten Szene auszugehen scheint. Ich höre an allen Ecken von rechtsradikaler Gewalt. Mein Bruder erzählt mir, wie ein Iro-Träger von einer Gruppe Neonazis in Oberbayern nur wegen seines Aussehens verprügelt wird. Eine Kommilitonin erzählt mir, wie ein Bekannter wegen seines „linken“ Auftretens von Rechten heimgesucht und fast gefoltert wird. Ein Mitstudent wird mitten in Ilmenau von einer Gruppe Rechtsradikaler verschlagen. Inwieweit diese Geschichten bis ins letzte Detail stimmen kann ich nicht beurteilen. Aber sie geschehen. Menschen werden wegen ihres anderen „Glaubens“, wegen ihrer „anderen“ Einstellung verfolgt und oftmals auch verletzt. Dies ist ein klarer Bruch der Menschenrechte!
Und die Gefahr ist allgegenwärtig. Natürlich spricht ganz Deutschland in erster Linie immer nur von den Neonazis in Sachsen und in den neuen Bundesländern. Aber wer die Zeitungen liest, bemerkt, dass sich rechte Gewalt wie eine Seuche durch ganz Deutschland zieht. Natürlich ist Sachsen aber ein sehr krasses Beispiel: Die rechte NPD kam auf unglaubliche 9,2% der Stimmen und liegt damit nur knapp hinter der SPD (9,8%). In manchen Wahlkreisen kam die NPD sogar auf mehr als 20%. Das ist dann schon erschreckend. Natürlich kommt die NPD somit auch in den Besitz von viel Geld und kann dieses für ihre weiteren „Wahlkämpfe“ einsetzen. Somit wird eine Entwicklung in Gang gesetzt, deren Ausmaße derzeitig noch gar nicht abzusehen sind. Aber langsam zeigen sich vereinzelte Folgen: Die Präsenz und die Organisation der rechten Szene nimmt zu. Der rechte Sumpf bekommt Strukturen.
Was ich erschreckend finde, ist wie viele demokratische Bürger schon jetzt Angst (nicht zu verwechseln mit Respekt!) vor den Rechten haben. Es gab einige, die auf meine Aufforderung zur Gegendemo in Erfurt zu gehen meinten, sie hätten Angst vor der „Rache“ der Neonazis. Ja es gibt wirklich Gerüchte, dass die Neofaschisten auf Kundgebungen gegen Rechts die teilnehmenden Demonstranten filmen, fotografieren und archivieren. Es wird erzählt, dass es eine Kartei gibt, in der alle „Gegner“ gespeichert werden. Natürlich dieses Gerücht macht wirklich Angst. Aber darf man sich davon einschüchtern lassen? Kann man mit Schweigen und Wegsehen etwas dagegen tun? Macht man es nicht nur noch schlimmer, wenn man sich still verhält und leise das Feld räumt? Wenn ihr mal an die Deutsche Geschichte denk, kommt euch dieses Verhalten nicht auch irgendwie bekannt vor. Und ihr wisst alle wie es endete! Dabei ist dieses Gerücht gar nicht mal so abwegig. Bei den bisherigen Demos, an denen ich teilgenommen habe, konnte ich wirklich sehen, wie die Neonazis Aufnahmen der Gegendemonstranten machten. Es scheint also wirklich etwas dran zu sein.
Dazu scheint auch die Anti-Antifa-Arbeit der Freien Kameradschaften (militante neonazistische Gruppen) zu passen. Hierbei geht es um die sogenannte „Feindaufklärung“. Konkret geschieht dies durch das Sammeln und Veröffentlichen von Namen, Adressen und Fotos politischer Gegner, sowohl von Einzelpersonen wie auch von linken oder alternativen Projekten (siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Freie_Kameradschaften). Das macht Angst. Große Angst. Bin ich etwa auch erfasst, weil ich meine Gedanken in meinem „Tagebuch“ hier festhalte? Wie war noch mal Artikel 5, Stichwort Meinungsfreiheit?!!!!
Beängstigend ist auch die Organisierung der rechten Szene. 1998 und 2003 wurden in Thüringen Werkstätten ausgehoben, in denen Neonazis mit Sprengstoff und Bomben hantierten (siehe http://www.jungewelt.de/2003/11-29/012.php). Es wird gefährlicher.
Interessant ist auch ein Blick auf folgende Seite: http://www.mobit.org/thema/thema1.php Dort gibt es Informationen zur Struktur der rechten Organisationen in Thüringen.
Wie gesagt es ist eine sehr beängstigende Entwicklung, die sich gerade in Deutschland vollzieht. Aber man muss auch immer wieder betonen, dass die Zahl der friedlichen und demokratischen Bürger bei weitem in der Mehrheit ist. Das heißt man kann der Gefahr von Rechts begegnen. Man kann sich dagegen stellen und für Toleranz kämpfen. Wir müssen zusammenhalten und gemeinsam für die Grundrechte der Menschen eintreten. Die Rechte aller Menschen! Denn nur dann ist ein friedliches Leben aller gewährleistet.
Dazu gehört kein Mut, dazu gehört ein klarer Verstand und: der Mund!
bluejax
Erfurt, den 11. Juli 2005
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Erstveröffentlichung bei www.myblog.de/bluejax: 11.7.05 23:10
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