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Atenco, Mexiko: Erniedrigungen, Misshandlungen, Angst – 2 Berichte von Frauen, die durch die Hölle gingen

Etwa zwei Wochen ist es nun her, dass im mexikanischen San Salvador Atenco Polizeibeamte Blumenverkäufer vom Markt verscheuchten und damit einen Aufstand der dort lebenden Bevölkerung auslöste. Schon während des Konfliktes im Bundesstaat Mexico gab es Berichte von Vergewaltigungen, verschwundenen Personen und einem 14 jährigen Jungen, der durch die Polizei getötet worden sein soll.

Die Schilderungen von Samantha und Valentina

Jetzt, zwei Woche später, tauchen immer mehr Berichte über die Rechtsverstöße in San Salvador Atenco auf. Berichte von Betroffenen, von Opfer. Ihre persönlichen Erfahrungen. Ich habe zwei dieser Berichte zusammengetragen, um euch einen Eindruck von den Zuständen und Verbrechen zu verschaffen, die in und um Atenco stattfanden.

Zwei Berichte von zwei ausländischen Frauen, die in Mexiko lebten und die durch die Hölle gingen. Zwei Berichte, voller Blut, Qual und voller Angst! Wieder einmal stammen die beiden Berichte, auf die ich mich hier stütze vom Chiapas98-Newsletter, der in den letzten Tagen einen richtigen Berg an neuen E-Mails über die Situation in Mexiko ausspuckt. Ich habe bewusst darauf verzichtet, nur eine kurze Inhaltsangabe der Schilderungen von Samantha und Valentina zu schreiben. Vielmehr möchte ich die Authentizität und die Bilder, die in diesen Berichten stecken versuchen widerzugeben!

Samantha Dietmar (27), Deutschland

So auch der persönliche Bericht von der 27-jährigen Samantha Dietmar, die in Deutschland Fotografie und Grafikdesign studiert.

Samantha weilte in Mexiko, um dort „Land und Leute zu dokumentieren“. Anfang Mai war sie gerade in Mexiko-City, als sie von den Unruhen in San Salvador Atenco erfuhr. „In Erwartung eines Friedensmarsches, um nationalweit gegen Gewalt von Seiten der Polizei zu protestieren“ machte sie sich daraufhin am 03. Mai mit einer Gruppe von Studenten und Compañeros auf nach Atenco. Der Friedensmarsch war für die Morgenstunden des 04. Mai angekündigt.

“Den letzten Rest des Weges legten wir zu Fuss zurueck und ich konnte mir im Feuerschein der brennenden Autoreifen ein Bild des Schreckens des vergangenen Nachmittages ausmalen.
Geschossreste, Scherben von Molotowcoctails, Reste von Warnraketen, zertruemmerte Fensterscheiben, ausgebrannte Autos.“

Zusammen mit „zahlreichen Medienleuten“ übernachtete die Gruppe von Samantha in einem kleinen Hotel am Südeingang der Stadt.

Morgenstund` hat Blut im Mund

Dann am Morgen des nächsten Tages wurden die Compañeros plötzlich aus dem Schlaf gerissen:

“Um ca. 6:00h schreckte ich hoch. Die Kirchenglocken laeuteten, Bomben zerbarsten, Steine flogen, tatsaechlich hatte ein neuer Kampf begonnen – wie sich schnell herausstellen sollte – mit unglaublichem Gewalteinsatz von Seiten der ca. 3.000 Polizisten gegen etwa 300 Demonstranten. Traenengas kroch durch Fenster und Tueren des Hotels.

Aengstlich wickelte ich mir ein nasses Handtuch um Mund und Nase und verharrte zwei Stunden verkrochen im Hotelbadezimmer. Der Hotelbesitzer hatte den Fernseher im Buero angestellt und die wenigen im Hotel Zurueckgebliebenen konnten mit Entsetzen mitverfolgen, wie die Polizei systematisch die Stadt zurueckeroberte. Mein einziger Gedanke war schnellstmoeglich zurueck nach Mexiko City zu kommen, denn hier war Mord und Todschlag ausgebrochen.“

Das Verlassen des Hotels – Ein folgenschwerer Fehler!

Als die Polizei-Einsatztruppen weiter in Richtung Zentrum der Stadt vorrückten, schnappte sich Samantha ihre Kamera und verließ kurz nach Sonnenaufgang die Schützenden Mauern des Hotels. Doch sie sollte nicht weit kommen.

“Nach weniger als einer Minute kam durch den Traenengasnebel eine Gruppe Polizisten auf mich und drei andere friedliche Personen auf der Strasse zugerannt. Ich wurde gegen eine Hauswand gedrueckt und nach meinem Ausweis gefragt. Ich wuehlte zitternd in meinen Hosentaschen, gab ihnen meinen Internationalen Presseausweis und fragte, was ich denn getan haette. „Die ist nicht von hier“, wurde gebruellt, mein Ausweis fiel zu Boden und ich wurde in Richtung eines Transporters abgefuehrt. Hier begann die Hoelle.“

Die Polizisten schleiften und zerrten Samantha “an Armen und Haaren in den Transporter, in dem schon viele andere Menschen untergebracht waren.

“Alles war blutig, die Menschen stoehnten.“

Und auch Samantha sollte nun die Macht der Polizisten zu spüren bekommen:

“Die Polizisten beschimpften und bespuckten uns, stiegen auf den seitlichen Rand der Ladeflaeche und als sich nach kurzer Zeit der Transporter in Bewegung setzte, traten sie auf mich und die anderen mit ihren Stiefeln ein, bruellten und beleidigten uns, schlugen mit ihren Schlagstoecken auf unsere Ruecken, Koepfe und Fuesse ein. Ich spuerte Haende an Gesaess und Ruecken, die versuchten mir mein Oberteil auszuziehen. Als ich versuchte es wieder
herunterzuziehen, wurde ich als „Gringa“ beschimpft und jemand schlug mir ins Gesicht. Meine Nase blutete. Ich konnte an nichts mehr denken. Bewegungslos ließ ich alles ueber mich ergehen.“

Blut, Gewalt und Angst

Als der Transporter dann irgendwann endlich anhielt, wurden die Menschen von der Laderfläche in einen größeren Bus geschleppt.

“Dort lag schon eine Gruppe Menschen blutueberstroemt zusammengekauert im hinteren Teil des Busses am Boden. Wir mussten uns auf die Leute werfen. Schlaege, Fusstritte, Beschimpfungen.“

Dann rückte Samantha in die besondere Aufmerksamkeit der Polizeibeamten:

“Unsere Koepfe wurden nach unten gepresst, damit wir ihre Gesichter nicht sehen konnten. Die Polizisten begannen die Namen aufzunehmen.
Meine Tasche mit meinem Reisepass, Geld, Filmen und meiner Kamera und Objektiven wurden mir entrissen, sie hielten meinen Kopf an den Haaren hoch, ich schrie meinen Namen und dass ich aus Deutschland sei.

Das Gewimmer, der Geruch, die Geraeuschkulisse waren unertraeglich. Ich wusste nicht was als naechstes passieren sollte,
und das machte mir schreckliche Angst.

(…)

Wieder und wieder kamen nun Polizisten in den Bus und fragten nach der Deutschen, hoben mein Tuch an, wollten mein Gesicht sehen. Ich durfte mich nicht bewegen. Haende betatschten meine Brueste. Ich wurde gefragt, was ich denn hier mache.“

Immer wieder und wieder

Dann kehrte etwas Ruhe ein. Bis ein weiteres Mal angehalten wurde, um Verhaftete in den Bus zu zerren. Die neuerliche gewaltsame Namensaufnahme ging von vorne los.

“Keiner der Gefangenen traute sich zu regen. Es waren viele Schwerverletzte darunter. Sie mussten zusammengekauert auf Boden und Baenken, teilweise uebereinander liegend, ausharren. Die Polizisten beschimpften uns immer wieder und schlugen auf die Personen ein.“

Dann auf einmal schien sich die Situation für Samantha zu wenden. Nachdem ihr ein Becher mit Wasser angeboten wurde, sollte sie sich zu den Polizisten setzen.

“Sie sagten: „wenn du kooperierst, passiert dir nichts“.“

Dann folgten 2,5 Stunden, in denen Samantha bei den Polizisten saß und einen Smalltalk mit den Beamten führen durfte. Doch damit war der Schrecken noch immer nicht zu Ende.

“Sie machten Gruppenphotos mit ihren Handys von mir, ein Porno auf einem Handy
machte die Runde, sie fragten mich ueber die EZLN, ETA und Hitler, fragte mich, warum ich hier sei und warum ich eine Kamera haette. Ich konnte mich ein wenig hinter den unzureichenden Sprachkenntnissen verstecken. Sie sagten welch schoene Augen ich doch haette, ob ich nicht mit einem der Polizisten zusammenkommen wolle, und im selben Moment schlugen sie ohne Grund nach hinten auf einen Compañero ein, der sich vor Schmerzen kruemmte.

Meine ausgerissenen Haare flogen durch den Bus. Ein Polizist fing an sich mit ihnen zu schmuecken.
Gelaechter. Ich fing an zu weinen, aus Verzweiflung, Zorn und Schmerz. Sie machten mir Mut, dass ich bestimmt bald an das Deutsche Konsulat uebergeben werde und nicht mit den „Verbrechern“ bleiben muesste. Zum Ende der Fahrt wurde ich nach den Filmen, meinem Bargeld und Kreditkarten gefragt.“

Raus aus dem Bus, rein ins Gefängnis

Als der Bus die Stadt Toluca erreichte, wurden die Gefangenen aus dem Bus gezerrt, um sie nun in das dortige Gefängnis zu übergeben.

“Sie taetschelten mehrmals meinen Kopf, traten aber brutal auf die anderen Gefangenen ein, damit diese sich erhoben. (…) Stoehnen und Wimmern. Und die dumpfen Schlaege der Polizistenstiefel gegen Fuss und Magengegend der Gefangenen. Eine nicht endende Gewalt.“

Dann im Gefängnis entspannte sich die Gewaltsituation etwas

“Schwerverletzte wurden in die interne Klinik gebracht, wir konnten die Toiletten aufsuchen.

(…)

Die Gesichter der Menschen von Angst und Wunden gezeichnet. Spaeter gab es zu essen und zu trinken. Ich wurde mit vier anderen Nicht-Mexikanern (Christina, Maria, Valerie und Mario), die auch schwer koerperlich und psychisch misshandelt worden waren, zum Arzt gebracht. Auf Fragen nach Telefon, Anwalt, Konsulate bekamen wir immer nur vertroestende Antworten, wie „Ja, ja spaeter“.“

Dann wurden die Aussagen der Gefangenen in einem provisorischen Vernehmungsbüro aufgenommen. Samantha schilderte ihre Erfahrungen auf Spanisch. Dazwischen immer wieder “endloses Warten ohne Auskunft was passieren wird.“

Menschenrechtsorganisationen tauchen auf

Dann endlich erschienen Menschen, deren Anwesenheit die Gefangenen etwas beruhigte und ihnen Mut machten, aus dieser „Hölle“ wieder herauskommen zu können.

“Das Human Right Center erschien, befragte uns zu den Misshandlungen und machte Fotos, kontaktierte spaeter fuer mich dann auch die Deutsche Botschaft.“

Danach wurde es dann etwas ruhiger. Die Kräfte von Samantha und den anderen Gefangenen schwindeten und man gönnte sich eine Ruhepause.

Kraftlos, mutlos und am Ende

“Wir waren erschoepft und schliefen frierend auf den Holzbaenken. Von dem vielen Traenengas und Traenen waren meine Augen entzuendet und ich musste meine Kontaktlinsen entfernen, was mich aber durch meine massive Sehschwaeche fast blind machte.“

Zwischenzeitlich stand noch die Aufnahme von Fingerabdrücken und das schießen von Fotos für die Akten an. Dann, mitten in der Nacht wurde die Gruppe um Samantha geweckt und man teilte ihnen mit, dass sie nun an das Immigration Office in Mexiko City übergeben werden würden.

Entlassung, Verlegung und deutsche Diplomaten

“Dann ging alles ziemlich schnell. Transport, weitere Untersuchungen, Vernehmungen, weiterhin keine Antworten auf spezielle Fragen ueber die rechtliche Lage, Anzeige- und Anklagerecht. Auch wurden mir meine Rechte nicht vorgelesen.“

Dann endlich kam Samantha in Kontakt mit Abgesandten des Deutschen Konsulats. Sie konnte nun ihre Familie informieren und man kümmerte sich um die formalen Angelegenheiten.

Später, nachdem man ihr einen Einreisepass für die Bundesrepublik Deutschland ausgestellt hatte – ihre persönlichen Dokumente sowie die Kamera wurden angeblich nicht an das Gefängnis übergeben, waren also verschwunden – wurde sie auch endlich zum Deutschen Konsulat gebracht.

Die Abschiebung nach Deutschland

“Von dort aus wurde ich direkt zum Flughafen in Mexiko City gefahren, wo auch schon die vier anderen Compas auf ihre Ausweisung warteten. Weiterhin hatten wir keinerlei Moeglichkeiten zu telefonieren. Letztes Warten in einer abgesonderter Zelle des Flughafenimmigrationsbueros.“

Dann um 21.00 Uhr Ortszeit wurde Samantha Dietmar mit einer Britisch-Airways-Maschine von Mexiko über London nach Frankfurt am Main ausgeflogen.

“Wie jeder von uns hatte ich waehrend des gesamten Fluges zwei Polizisten der
Immigrationsbehoerde zur Seite, die mich am Nachmittag des 6. Mai 2006 in Frankfurt a. Main, ohne jegliche Akten zu meinem Fall, der verwunderten Deutschen Bundespolizei uebergaben. Spaeter liess ich mich noch einmal in einer Klinik untersuchen.“

Kein Film, sondern Wirklichkeit!!!

Der Bericht von Samantha Dietmar liest sich wie das Drehbuch eines Films. Doch es ist kein Film, keine Fiction. Das was Samantha berichtet hat wirklich stattgefunden. In Mexiko. In San Salvador Atenco. Im Mai 2006.

Ein Aufruf von Amnesty International!

Auch Amnesty International hat mittlerweile mehrere Berichte über die Rechtsbrüche in San Salvador Atenco veröffentlicht.

Unter der Überschrift „Sorge um Sicherheit“ findet man auf den Internetseiten von AI zwei Dokumente, die sich mit dem Konflikt in Mexiko beschäftigen. Im ersten Dokument werde die Ereignisse, die sich Atenco ereigneten beschrieben und der Weg hin zur Eskalation dargestellt.

Amnesty International ruft dazu auf aktiv zu werden und gibt eine Übersicht, wie und wen man kontaktieren kann, um seinen Beitrag für die Einhaltung der Menschenrechte zu leisten.

Schreiben Sie bitte Telefaxe oder Luftpostbriefe, in denen Sie

* Ihre Sorge um die Sicherheit der bei den gewaltsamen Zusammenstößen in San Salvador Atenco festgenommenen Personen zum Ausdruck bringen und die Behörden auffordern, die Namen der Inhaftierten bekanntzugeben;

* die Behörden auffordern, die körperliche Unversehrtheit der Gefangenen sicherzustellen und ihnen den Kontakt zu ihren Familien und Rechtsanwälten sowie den Zugang zu medizinischer Versorgung zu ermöglichen;

* fordern, dass die Gefangenen entweder einer erkennbar strafbaren Handlung angeklagt oder umgehend freigelassen werden;

* fordern, dass unverzüglich eine umfassende und unabhängige Untersuchung der Tötung des 14-jährigen Javier Cortes Santiago und der mutmaßlichen Menschenrechtsverletzungen während des Polizeieinsatzes eingeleitet wird.

Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Spanisch, Englisch oder auf Deutsch.

Dass ein solches Aktiv werden auch von Europa aus wirklich dringend und angeraten ist, zeigen weitere Berichte aus Mexiko.

Valentina Palma Novoa (30), Chile

So etwa der Bericht der Chilenin Valentina Novoa den ich ebenfalls über den Chiapas98-Verteiler erhalten habe. Auch hier habe ich einen großen Teil der Schilderungen so belassen, wie ich sie erhalten habe, um die Erfahrungen besser wiedergeben zu können und das Ausmaß der Gewalt deutlich zu machen!

Die 30-jährige Valentina Palma Novoa, aus Chile, die als Medienmachering und Anthropologin arbeitet, gehörte wie Samantha Dietmar zu den Gefangenen von den Kämpfen in San Salvador Atenco.

Seit 11 Jahren in Mexiko

Novoa lebt seit 11 Jahren in Mexio und studiert dort im vierten Jahr Realización cinematográfica am Centro de Capacitación Cinematográfica.

“Im Folgenden möchte ich Ihnen über die Geschehnisse berichten, zu deren Zeugin ich während der gewalttätigen Zwischenfälle wurde, die sich am Donnerstag, 04. Mai 06, in der Gemeinde San Salvador Atenco ereigneten und die , auf ungerechte und willkürliche Weise, mit meiner Ausweisung ( aus Mexiko ) endeten.“

Am 03. Mai hatte Novoa in den Fernsehnachrichten von den Auseinandersetzungen in Atenco gehört und erfahren, dass ein 14-jähriger Junge als erstes Todesopfer der Eskalation geführt wurde.

Als Filmerin nach Atenco

Die Anthropologin und Kulturfilmerin machte sich auf den Weg zum Ort des Geschehens “ um die reale Situation des Ortes aufzuzeichnen.“

Als sie dort angekommen war, verbrachte sie die Nacht, indem sie die von der Bevölkerung aufgestellten Wachposten filmte und interviewte. Danach gesellte sie sich zu den anderen Bewohnern der Stadt, die sich um ein großes Lagerfeuer versammelt hatten.

Wenn die Turmuhr 6 Uhr schlägt

“Es war gegen 6 Uhr früh, als die Glocken der Kirche von San Salvador Atenco zu läuten begannen: tum tum tum tum, immer wieder, während das Mikrophon schreiend kund tat, dass die Polizei sich im Ort befand.“

Als Valentina Novoa durch die Stadt ging, um sich einen Eindruck der Situation zu machen, entdeckte sie die Polizisten.

“Ich empfand Angst, sie waren viele, schwer bewaffnet und die Campesinos wenige und unbewaffnet. Im Sucher meiner Kamera sah ich wie einer der Polizisten nach uns zielte und ein Projektil abschoss, dass, als es neben mir auftraf, Geruch zu verströmen begann und ich merkte, dass es Tränengas war. Immer mehr Tränengas begrub den Duft frischgebackenen Brots und verwandelte die enge Gasse in ein Schlachtfeld.

Ein erschreckender Blick in Stadt

“Der wenige Widerstand seitens der Campesinos, endete angesichts des Angriffs der Polizeikräfte, die sich abrupt auf die EinwohnerInnen stürzten. Ich packte meine Kamera ein und lief zusammen mit den anderen, so schnell ich konnte.“

Novoa flüchtete in ein Öffentliches Gebäude um auf das Ende der Turbulenzen zu warten. Dort traf sie auf 2 Jugendliche, die ebenfalls den Schutz der dicken Mauern suchten.

Schutz suchen

“Voller Sorge ging ich vor, um auf die Strasse zu sehen und sah, wie fünf Polizisten mit toteles (wohl Schlagstöcke) und Fusstritten völlig mitleidslos, auf einen alten Mann einhieben, der am Boden lag. Ich empfand noch mehr Angst, ging zurück.“

Da die 3 merkten, dass sie auch in den Gemäuern des Gebäudes keinen wirklichen Schutz vor der Gewalt auf der Straße finden konnten, suchten sie sich ein neues Versteck.

“Illusionärerweise stiegen wir auf das Flachdach und starrten dort, auf dem Rücken liegend, die Helikopter an, die wie grosse Schmeissfliegen den Himmel durchsurrten, während die Schüsse, die aus dem Ort ertönten, zu einem Teil der Landschaft wurden.“

Dann wurden die 3 von den Polizeibeamten entdeckt!

“Ein Mann schrie uns mit gewaltsamer Stimme zu: „Die Schweinehunde auf dem Dach sollen herunterkommen“. Die Jugendlichen kletterten zuerst hinab; von oben sah ich, wie sie sie schlugen und voller Panik, wollte ich nicht hinunter, bis ein Polizist schrie.“Komm´ runter, du Hündin, komm´ sofort runter.“ Ich stieg langsam hinunter, erschreckt davon zu sehen, wie sie die beiden Jugendlichen auf den Kopf schlugen. Zwei Polizisten schoben mich vorwärts, während zwei andere mich mit ihren toteles auf den Oberkörper, den Rücken und auf die Beine schlugen.“

Den Polizisten hilflos ausgeliefert

Nachdem Valentina Palma Novoa von den Polizisten an eine Kirche gebracht wurde und immer wieder mit Schlägen und Prügeln eingedeckt wurde, nahm man ihr ihre Tasche mit Videokamera, Celular und den Geldbeutel mit ihren Identitätsunterlagen. Dann wurde sie in einen Transporter gebracht.

“Sie zogen mich an den Haaren hoch uns sagten: „Steig´in den Laster, Hure.“ Ich konnte mich kaum bewegen und sie verlangen, dass ich extrem schnell machen sollte. Sie stiessen mich auf die anderen verletzten und blutenden Körper und befahlen mir, den Kopf in eine Blutlache zu senken. Als ich das nicht tun wollte, zwang mich ein schwarzer Stiefel über meinem Kopf dazu.“

Dann startete der Transporter – Ab in die Hölle

“Auf der Strecke wurde ich von vielen Polizeihänden begrapscht. Ich schloss nur die Augen und presste die Zähne zusammen, in der Hoffnung, dass das Schlimmste nicht passieren würde. Meine Hosen waren heruntergezogen, als der Laster hielt und man mir befahl auszusteigen, was ich ungeschickt tat. Eine Polizistin sagte: „Überlasst diese Hündin mir“ und versetzte mir Ohrfeigen mit beiden Händen. Ich fiel hin und zwei Polizisten packten mich, um mich zu einem Bus zu bringen, entlang einer Reihe von Polizisten, die nach uns traten.“

Sexuelle Erniedrigungen und Schmerz

Im neuen Bus angekommen, fing das Spiel mit Erniedrigungen und Gewalt von neuem an

“Im Bus fragte mich eine andere Polizistin nach meinem Namen, während zwei männliche Polizisten brutal meine Brüste kniffen und sie mich auf den Körper eines alten Mannes warfen, dessen Gesicht blutverrkustet war. Als er meinen Körper auf sich spürte, schrie er auf, vor Schmerz. Ich versuchte mich zu bewegen und ein Tritt in den Rücken bremste mich; mein Schrei liess den alten Mann ebenfalls wieder aufschreien, der Gott um Mitleid anflehte.“

Den Gang vom vorderen Ende des Busses bis nach hinten beschreibt Valentina Novola dann genau. Sie konnte “die blutigen Gesichter der übrigen Festgenommenen sehen und das Blut, das überall auf dem Boden versprengt war. Obwohl ich selbst nicht blutete, waren meine Hände und meine Kleider mit dem Blut der anderen Verhafteten bespritzt.“

Jammernd und blutend mussten die Gefangenen im Bus das Ankomen weiterer Verhafteter beobachten, die sich ebenfalls den Schlägen und Tritten der Polizisten ausgesetzt sahen.

Irgendwann schlossen sich die Türen des Busses und es folgte eine 2 bis 3-stündige Fahrt in die Hölle

Ohne Mitleid, ohne Ausweg!

“Die Folter begann und jede kleine Bewegung, zog einen weiteren Schlag nach sich. Ich schloss die Augen und versuchte zu schlafen, aber das Jammern neben mir, liess es nicht zu; der alte Mann sagte: „Mein Bein, mein Bein.Gott, Mitleid, Mitleid bitte:“ Ich weinte bitterlich und dachte, der alte Mann würde neben mir sterben.“

Ihren eigenen Worten zufolge kümmerte sich Valentina während der Fahrt um den verletzten alten Mann. Danach fiel sie in einen kurzen Schlaf.

Nächster Halt: Gefängnis

“Geruch nach Blut und Tod weckte mich auf. Als ich die Augen öffnete, sah ich eine Gefängnismauer. Der Bus hielt an und eine Stimme befahl, dass wir durch die hintere Tür aussteigen sollten. Sie befahlen mir, stehenzubleiben, die Tür ging auf und eine Reihe von Polizisten blickte in mein weinendes und unbedecktes Gesicht; ich bekam wieder Angst.“

Nachdem sich die Türen zuerst wieder schlossen und ein Polizist das Gesicht von Valentina und den anderen Gefangenen mit einem Umhang bedeckte, öffneten sie sich wieder und die Festgenommenen wurden der Reihe nach hinaus gelassen.

“Vor dem Bus packte ein Polizist mich an der Hose und drückte mit der anderen Hand meinen Kopf nach unten. Die Reihe der Polizisten begann mit Tritten auf meinem Körper und die der anderen Verhafteten, die Teil unserer Reihe waren.“

Dann wurden die Gefangenen in die Strafanstalt der Stadt Toluca geleitet. Der Weg durch die Gänge war lang. Fußtritte und Schläge begleiteten die Geläuteten. Und noch immer schien kein Ende in Sicht.

Dann machte Valentina eine falsche Bewegung.

Bevor wir an einem Untersuchungstisch ankamen, beging ich den Fehler, den Kopf zu heben und in die Augen eines Polizisten zu sehen, der meinen Blick mit einem harten Schlag mit geballter Faust in meinen Magen beantwortete, so dass mit für Momente die Luft wegblieb.“

Es folgte die Aufnahme der Identität. Name, Alter und Nationalität. Danach eine Leibesvisitation, durchgeführt von einer Polizistin. Mittlerweile war es 14 Uhr, am Donnerstag den 04.Mai 2006

Schreckliche Berichte von Mithäftlingen

Nachdem Frauen und Männer getrennt wurden unterhielt sich Valentina mit anderen Frauen und hörte sich ihr Berichte über deren Quälereien an.

“Eine junge Frau zeigte mir ihre zerrissene Unterwäsche und ihren Kopf, mit einer offenen Wunde voller Blut. Eine andere berichtete, dass sie auf zwei Wegen weggebracht worden war, während sie sie geschlagen, gequält und zu ihr gesagt hatten: „Wir werden dich umbringen, Hure.“ Eine weitere Jugendliche erzählte mir, dass sie wahrscheinlich schwanger war. Alles unter Weinen und solidarischem Händedrücken. Der Zustand von Schock unter den Frauen war deutlich.“

Auch die Männer waren gezeichnet. Die männlichen Gefangenen waren auf der anderen Seite des Gefängnishofes. Auch sie redeten.

“Wir sahen ihre blutigen Gesichter, die von den brutalen Schlägen deformiert waren.“

Kurze Zeit später kam eine Polizistin zu den Frauen herüber und nannte einige Namen von Gefangenen, die dann aus der Gruppe heraustreten sollten.

“Wir waren vier: Cristina, María, Samantha, Valentina. Eine fünfte kam zu der Gruppe hinzu: Mario. Wir waren fünf verhaftete AusländerInnen.“

Parallelen zwischen Samantha und Valentina

Wer nun den gesamten Artikel hier gelesen hat, der wird nun feststellen, dass die 2 Erfahrungsberichte dieses Artikels einige Gemeinsamkeiten haben:

1. Beide Berichte stammen von Frauen

2. Beide Male wurden die Frauen mit einem zu einem Gefängnis gebracht

3. Das Gefängnis war beide Male in der Stadt Toluca

4. Es handelte sich sowohl bei Samantha (Deutschland), als auch bei Valentina (Chile) um Ausländerinnen

5. Samantha, wie auch Valentina waren Medien-/Pressevertreter

6. Wie wir gerade eben in Valentinas Beschreibung erfahren haben trafen die beiden Frauen in ihrer Gefangenschaft sogar aufeinander!

Dann kam ein Mann zu den 5 Frauen, wahrscheinlich der Gefängnisdirektor. Er versuchte sie zu beruhigen und meinte, sie befänden sich jetzt in Sicherheit und sollten keine Angst haben. Das, was außerhalb der Strafanstalt mit den Frauen geschehen wäre, würde ihnen im Gefängnis nicht widerfahren.

Die Bitte um einen Anruf wurde den Frauen jedoch verwehrt Nun wurden auch die schwerverletzten Gefangenen in einen anderen Teil des Gefängnisses, vermutlich auf die Krankenstation, gebracht. Valentina zufolge waren dies nicht gerade wenige:

“Es handelte sich nicht um eine oder zwei; von einhundert und ein paar festgenommenen Personen, waren 40 Schwerverletzte.

Einer der zuerst weggebracht wurde, war der sterbende, alte Mann, der neben mir im Bus gelegen hatte und den ich nie mehr wieder sah.“

Danach folgte die medizinische Untersuchung

“Ich hatte Blutergüsse am Oberkörper, dem Rücken, den Schultern, den Fingern, an Oberschenkeln und Beinen.“

Doch die Untersuchungen dienten scheinbar mehr dem formalen Zweck. Medizinische Hilfe und Rücksichtnahme bekamen die Gefangenen auch hier nicht.

“Es wurde empfohlen, meine Rippen zu röntgen, weil ich Atemprobleme hatte; aber es wurde nicht gemacht. Die aufnehmende Krankenschwester und der untersuchende Arzt, handelten in völliger Gleichgültigkeit gegenüber meiner Person und den Verletzungen.“

Kein Widerspruch erwünscht!

Dann wurden die Frauen in einen Saal gebracht, wo ihre Aussagen protokolliert werden sollten. Dabei wurde ihnen nahegelegt keinen Widerspruch gegen das Gesagte der Schreibkräfte an den Maschinen einlegen sollten.

„Es ist gut, wenn du dich nicht erklären willst“, das ist dein Recht; aber es wäre gut, wenn du einen schriftlichen Beweis über dashinterlassen würdest, was dir geschehen ist“,sagte eine Lizensatin zu mir.“

Valentina berichtet, wie einige Zeit später Mitarbeiter von Menschenrechtsorganisationen auftauchten und sich um sie kümmerten.

“Menschenrechtsbeamte erschienen und nahmen Erklärungen und Fotos von unseren Verwundungen auf; die Erklärungen wurden ohne Interesse aufgezeichnet, mechanisch.“

Danach folgte die Registrierung mit Foto und Fingerabdruck

“Wir wurden gezwungen, unsere Fingerabdrücke machen zu lassen und sie fotographierten uns von vorne und beide Profile“

Danach gab es dann auch eine Mahlzeit für die Gefangenen:

“Ein Topf kalter Kaffee und eine Kiste mit Milchbrötchen waren das Abendessen. Es war Mitternacht und ich legte mich auf einer harten Bank hin, um zu versuchen, ein wenig zu schlafen. Es war unmöglich, denn es war kalt und ich hatte keine Decken.“

Entlassung ins Ungewisse

Dann kam irgendwann eine Wache und die Frauen dürften ihre Zelle wieder verlassen. Sie sollten nun in ein Migrationsbüro in Toluca gebracht werden.

“Es war drei Uhr früh, als wir dort ankamen. Ein schlechtgelaunter Arzt nahm ein weiteres Mal die Verletzungen auf. Dann schliefen wir ein wenig, denn unsere Ankunft
entsprach nicht den Öffnungszeiten des Büros, weshalb nur wenige Beamte anwesend waren. Um sieben Uhr brachte ein Gehilfe uns Getreide mit Milch. Dann nahmen sie mir eine Erklärung ab.“

Menschenrechtsbeobachter erscheinen

Nach einigen weiteren Befragungen und Protokollen traf Valentina abermals auf Mitarbeiterinnen der Nationalen Kommission für Menschenrechte warteten und die Aussagen von ihr und 2 weiteren Spanierinnen aufnahmen.

“Nachdem die zwei Spanierinnen und ich, ihnen berichtet hatten, was wir erlebt hatten, empfahlen sie uns, unverzüglich einen Anwalt zu verlangen, um rechtlichen Schutz gegen eine mögliche Ausweisung einzuklagen.“

Nach weiteren Stunden in der Migrationsstation wurden Valentina und ihr Landsmann Mario in einen Polizeiwagen gesetzt und sollten zu den Zentralbüros für Migration gebracht werden.

Ab zum Flughafen, raus aus Mexiko

“Mitten auf der Strecke bemerkte ich, dass wir auf dem Weg zum Flughafen waren und dass vor uns zwei weitere Wagen fuhren, einer mit Samantha, der Deutschen und ein anderer mit María und Cristina, der beiden Spanierinnen.“

Gegen 18 Uhr Ortszeit erreichte Konvoi den Flughafen. Nachdem die Frauen die Wagen verlassen hatten, wurden sie in einen „komplett weissen Raum“ gebracht, in dem sie eine weitere Stunde warten mussten. Samanthas Flug ging als erstes. Valentina und Mario stiegen um kurz vor 23 Uhr in eine Lan Chile, die sie außer Landes bringen sollte.

2 Berichte, 1 Schicksal

Die Schilderungen von Samantha Dietmar und Valentina Palma Novoa, zwei Berichte von zwei Frauen, die in Mexiko lebten und die als Medienvertreter zur falschen Zeit am falschen Ort waren. Zwei Frauen, die durch die Hölle gingen, Schläge und Erniedrigungen über sich ergehen lassen mussten. Zwei Frauen, die psychische und physische Gewalt unter dem Deckmantel der Staatsgewalt erfahren mussten. Dietmar und Novoa, deren schlimme Erlebnisse die Öffentlichkeit in Europa erreichten.

Nur 2 Opfer von unzähligen

Samantha und Valentina, 2 Frauen, die Opfer der mexikanischen Staatsgewalt wurden. So wie hunderte (oder tausende) andere Frauen und Männern in Mexiko. Frauen und Männer deren Geschichte nicht so glimpflich ausging. Frauen und Männern, die oftmals noch schlimmere Qualen und Demütigungen über sich ergehen lassen mussten.

Vergewaltigungen, schwere Misshandlungen, Morde. Frauen und Männer, die durch die Hölle gingen. Im Namen des Rechts!

Den Bericht von Valentina Palma Novoa findet ihr im spanischen Original bei chiapas.mediosindependientes. Die deutsche Fassung gibt es bei de.indymedia.org

Mit solidarischer Anteilnahme!

bluejax, den 17. Mai 2006

Quellen und Links:
http://chiapas.mediosindependientes.org/display.php3?
article_id=122035
http://de.indymedia.org/2006/05/146610.shtml
http://www2.amnesty.de/internet/deall.nsf/210b31aa146
ed695c125682b003a7b54/71ea827ba88e260ac1257169
0060524b?OpenDocument
http://www2.amnesty.de/
http://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/chiapas98

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