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Deutschland. Ein Rechts-Staat

Spricht man heute mit Freunden, Fremden und Bekannten in Deutschland über die Verbrechen der Nazis im Zweiten Weltkrieg, dann stellt sich schnell ein unbehagliches Gefühl ein. Fast wie angelehrt instinktiv wird mit dem Kopf geschüttelt und betont, dass man nicht wirklich begreifen könne, wie es zu diesem faschistischen System kommen konnte; dass es möglich war, dass eine so überwältigende Mehrheit der Gesellschaft dieses rassistische System und seine bestialischen Morde stillschweigend geduldet oder gar offen unterstützt hat; dass dies heute nicht mehr vorstellbar wäre. Und überhaupt, die Vorstellung, dass man selbst auch nur irgendeinen unterstützenden Beitrag dazu leisten könnte, niemals! Aber ganz ehrlich: Können wir uns da wirklich so sicher sein? Ist unsere Gesellschaft wirklich so gesichtert? Oder ist sie nicht schon längst dabei, Ähnliches zu dulden und zu unterstützen – und vielleicht war es auch seit dem Zweiten Weltkrieg sogar nie anders?!

Schwarz-Rot-Braun

1970er: Die neuen Nazis

ZDFinfo hat gerade eine mehrteilige Doku in der Mediathek, die sich mit der zunehmenden Verbreitung von Rassismus und Rechtsextremismus in Deutschland auseinandersetzt. Insbesondere der zweite Teil zeigt wie sich große Teile der deutschen Gesellschaft in den 1970er Jahren immer kritischer und ablehnender gegenüber Asylsuchenden und Migranten äußerten und damit eine rassistische Spirale in Bewegung setzten, die von Medien (u.a. DER SPIEGEL!) und Parteien (u.a. SPD!) aufgegriffen und weiter befeuert wurden. Menschen wurden diskreditiert, verfolgt, getötet und ermordet, weil sie einen anderen Glauben hatten, eine andere Einstellung, eine andere Hautfarbe oder andere sexuelle Vorlieben.

1980er: Oktoberfestattentat

Am 26. September 1980 explodierte am Haupteingang des Oktoberfests eine Rohrbombe, die 13 Menschen tötete und 211 Menschen verletzte, 68 davon schwer. Das sogenannte “Oktoberfestattentat”. Die offiziellen Ermittlungen der Bundesanwaltschaft und des bayerischen Landeskriminalamts kamen zu dem Ergebnis, dass der Rechtsextremist Gundolf Köhler, der bei dem Anschlag starb und lediglich aufgrund eines gefundenen Reisepasses identifiziert werden konnte, als Einzeltäter für den Terroranschlag verantwortlich war. Die Ermittlungen wurden 1982 eingestellt und auch trotz eindeutiger Verbindungen zu weiteren neonazistischen, paramilitärischen Gruppierungen wie der Wehrsportgruppe Hoffmann oder der Stay-behind-Organisation Gladio bis heute nicht wieder aufgenommen.

1990er: Rostock-Lichtenhagen

Alles gipfelte im August 1992 in den Ausschreitungen Brandanschlägen von Rostock-Lichtenhagen, als ein Mob von mehreren hundert Rechtsextremen unter Anfeuerung und Applaus mehrerer Tausend (!) Anwohner die Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber und ein Wohnheim für ehemalige vietnamesische Vertragsarbeiter angriffen und in Brand setzten. Ein Progrom, letztlich heraufbeschworen, geduldet und durchgeführt von der deutschen Gesellschaft!

1990er bis 2000er: „Deutschfreundliche Umerziehung“

Anklam ist eine kleine Hansestadt in unmittelbarer Nähe zur Ostsee-Mündung, direkt vor Usedom. Die Geschichte von Anklam lässt sich bis ins frühe 13. Jahrhundert zurückverfolgen und beheimatet heute 13.000 Einwohner. Anklam liegt im Vorpommern-Teil des heutigen Bundeslandes Mecklenburg Vorpommern.

Vorpommern galt während des Zweiten Weltkriegs als kriegssicher und erreichte mit der Ergreifung der Nationalsozialisten ab 1933 einen großen Aufschwung. Die Produktion von Flugzeugen und Rüstungsgütern wurden nach Anklam verlegt, die Einwohnerzahl stiegt auf über 20.000 ebenso wie die Qualität der Infrastruktur, während die Arbeitslosigkeit sank. Dies änderte sich allerdings bruchartig mit dem Ende des zweiten Weltkriegs, wo diese Region von den Alliierten wie auch von der deutschen Luftwaffe angegriffen und nachhaltig zerstört wurde. Das heutige Stadtbild ist geprägt von Plattenbauten, vormalige Industriefläche wurde zu landwirtschaftlicher Nutzfläche. Die Einwohnerzahl sinkt kontinuierlich und die Arbeitslosigkeit wächst.

Wie in der Studie „Rechtsextremismus in Ostdeutschland – Demokratie und Rechtsextremismus im ländlichen Raum“ zu lesen ist, waren demokratische Werte in Vorpommern vor 1989 nie mehrheitsfähig und damit auch nicht alltagskulturell verankert. So erreichte die NSDAP in dieser Region bereits früh Spitzenergebnisse und auch die Wende lief vergleichsweise ruhig, um nicht zusagen teilnahmslos vonstatten.

Heute hat die NPD in der Stadtvertretung von Anklam zwei Plätze – genauso viele wie die SPD. Die Region verfügt über fest verankerte rechte Strukturen. Eine wichtige Rolle spielt dabei eine Gaststätte im nahegelegenen Klein Bünzow, wo in der Zeit zwischen 1996 und 1998 eine Reihe von rechtsextremen Konzerten stattfanden. Die Gaststätte “Zur Linde” bot ideale Voraussetzungen, lag sie doch direkt am Bahnhof der Trasse Berlin-Stralsund sowie an der Bundesstraße 109. Außerdem benötigte der damalige Wirt dringend Geld, um seine Schulden abzubezahlen und ließ sich dann auch aus ökonomischem Kalkül von Rechtsextremen rund um „Blood & Honour“ vereinnahmen.

Die Konzerte entwickelten sich schnell zu einem Magneten internationaler Rechtsextremisten, die Besucherzahlen schwankten zwischen 25 und 500. Es gibt Gerüchte, dass auch Unterstützer der NSU regelmäßig hier verkehrten. Geschützt wurde der Zugang zu den Konzerten auf eine einfache, aber unheimlich effektive Weise: Jeder Besucher musste an der Tür ein geheimes Kennwort aufsagen, wer dieses nicht wusste, dem wurde der Eintritt verwehrt. Verfassungsschutz und Polizei waren deswegen außen vor. Was hinter den verschlossenen Türen passierte, entzog sich ihrer Kenntnis, wohl auch ihrem weiteren Interesse. Man ließ die Rechtsextremen gewähren – und förderte damit über Jahre hinweg die Bildung von Austausch und festeren Strukuren.

Das Ganze hörte erst auf, als im Rahmen des damaligen Bundestagswahlkampfes (welch martialisches Wort in diesem Zusammenhang) ab 1998 endlich Politik und Polizei aktiv wurden und stärken Druck ausübten. Die rechten Konzerte ebbten nach und nach ab und endeten bald ganz. Die rechtsextremen Strukturen, die sich mit den Konzerten gebildet haben, blieben jedoch auch danach in Vorpommern bestehen.

Aus der Konzertreihe heraus gründete sich letztlich auch der “Kameradschaftsbund Anklam”, der bis heute noch aktiv ist und aus dessen Spektrum der rechte Szeneladen „New Dawn“ oder das „Wohnprojekt Salchow“, das auch heute noch Konzerte und Veranstaltungen organisiert und durchführt. Zudem gliederte sich der KBA in das „Soziale und Nationale Bündnis Pommern“ (SNBP) ein, der in Anklam als „propagandistischer Dienstleister auftritt“ und durch Aufkauf von Immobilien und Aufbau von Bibliotheken zur „deutschfreundlichen Umerziehung“ versucht einen rechtsextremen Kontrapunkt zur staatlichen Kulturpolitik aufzubauen.

Auch sonst ist Rechtsextremismus heute fester Bestandteil des gesellschaftlichen Alltags in Anklam. Die Universität Bielefeld führte im Jahr 2009 die repräsentative Studie „Sozialraumanalysen“ durch, die zum Ergebnis kam, dass 34,7 Prozent der Anklamer die NPD für eine Partei wie jede andere hielten, während lediglich 57,7 Prozent sich vorstellen konnten, sich gegen Rechtsextremismus zu engagieren; 50,2 Prozent sind der Ansicht, dass es in Deutschland zu viele Ausländer gibt und 27,6 Prozent fühlen sich angesichts von Muslimen wie ein „Fremder im eigenen Land“; 29 Prozent fordern sogar, Ausländer auszuweisen, wenn Arbeitsplätze in Deutschland knapp werden. Dieser hochgefährlichen gesellschaftlichen Entwicklung wissen die politisch Verantwortlichen bisher noch nichts entgegenzusetzen. Im Gegenteil, von Duldung und offener Sympathien wird gemurmelt.

Die Geschichte von Anklam ist die Geschichte von einer x-beliebigen Stadt in Deutschland. Rechtsextreme Strukturen finden sich nahezu überall und wurden – etwa in Berlin oder Baden-Württemberg – auch rund um die NSU von Einzelnen aufgedeckt, werden von den verantwortlichen Politikern und Behörden allerdings offiziell nach wie vor vehement bestritten.

2000er: ”Es gibt keine Nazis mehr!”

Im März 2006 wollte der Liedermacher Konstantin Wecker unter dem Motto “Nazis raus aus unserer Stadt” eine Konzert-Tour durch die Städte Hoyerswerda, Neustadt an der Orla, Halberstadt und Schwerin machen, um auf die Arbeit und die Situation von politisch engagierten Jugendzentren in diesen Städten aufmerksam zu machen. Doch es traten schnell erste Schwierigkeiten in Hoyerswerda auf: So erklärte der Leiter der “Kulturfabrik” gegenüber Konstantin Weckers Management, unter dem Motto könne er keine Veranstaltung zulassen, da es in Hoyerswerda gar keine Nazis mehr gäbe. Die Stadt hätte so viel gegen sie unternommen. Nun seien keine mehr da, daher sei auch das Motto der Veranstaltung komplett deplaziert.

Von diesem (schwachen) Argument ließ man sich jedoch nicht abschrecken. So machte das Wecker-Management der Kulturfabrik den Vorschlag das Konzert unter dem Motto “Nazis, raus aus unseren Köpfen” zu veranstalten. Doch vergeblich, auch hier sah der Leiter der Kulturfabrik keinen bedarf, denn diesmal reagierte er mit der Behauptung, sie seien auch nicht mehr in den Köpfen.

In der Einleitung zu “Rechtsextremismus in Ostdeutschland – Demokratie und Rechtsextremismus im ländlichen Raum“ weisen Hubertus Buchstein und Gudrun Heinrich darauf hin, dass sich der Rechtsextremismus in mehreren Regionen in Deutschland in den vergangenen Jahren zu einer deutlich wahrnehmbaren politischen Kraft formiert habe. Der Umgang mit Rechtsextremen sei demnach vielfach von einer großen Orientierungs-, Hilf- und Ratlosigkeit sowie Unsicherheit der politischen Verantwortlichen geprägt, was nicht nur dazu führt, dass rechtsextreme Aktivitäten verharmlost, sondern dass sie übersehen werden. Aus den Augen, aus dem Sinn.

Doch Hoyerswerda sollte nicht die einzige Stadt sein, in der Probleme auftreten sollten. Als nächstes war Halberstadt an der Reihe. Dort wollten Konstantin Wecker und der Band Strom & Wasser zugunsten der Zora e.V. spielen einem durch rechtsradikale Attacken schon schwer getroffenen Jugendclub. Doch diesmal kamen die Probleme nicht von Seiten des Veranstaltungspartners, diesmal waren es die Behörden, denen das geplante Konzert ein Dorn im Auge war: So verlangte der Landkreis, dass das Motto „Nazis raus aus unserer Stadt“ auf den Plakaten und Eintrittskarten geschwärzt werden sollte. Der Grund: die Veranstaltung fände in einem Gymnasium statt und zu Zeiten der Landtagswahl seien politische Aussagen in öffentlichen Gebäuden nicht zulässig.

Nachdem sich Konstantin Wecker persönlich an die dortigen Behörden wandte, sah es zwischenzeitlich so aus, als ob man sich einigen könne. Doch dann trat die NPD in Erscheinung die mit Protesten und Aktionen gegen die Veranstaltung drohte, notfalls mit der Klage vor Gericht, um in öffentlichen Räumen ähnliche Veranstaltung durchführen zu können. Der zuständige Landkreis kuschte und zog die Genehmigung für das Konzert in Halberstadt zurück. Alternative Veranstalter, die sich zwischenzeitlich bereiterklärten zogen sich ebenfalls nach und nach zurück, nachdem sie von der dortigen NPD bedroht wurden.

2010er: „Deutschland schafft sich ab“

Offener, aber auch latenter Rassismus, das zeigen nicht nur diverse Studien, ist heute in Deutschland weit verbreitet, die Angst vor Überfremdung allgegenwärtig. Die rassistischen Hetztiraden eines Thilo Sarrazin werden von reichweitenstarken Medien gefeiert und finden in breiten Teilen der Bevölkerung Anklang und machen sein Buch “Deutschland schafft sich ab” zu einem der am meisten verkauften Sachbüchern seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland. Zeitgleich bildet sich, von Behörden und staatlichen Institutionen gefördert geduldet unbehelligt, mit dem Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) eine rechte Terrororganisation und ermordet Migranten im ganzen Land. Tausende gehen auf die Straße, protestieren gegen den Bau von Moscheen, neue Asylbewerberwohnheime oder dem Islam.

Aber die staatlichen Reflexe sind auch heute noch dieselben, wie schon vor einigen Jahrzehnten in der BRD oder auch der DDR. Rechtsextremismus wird nicht nur unterschätzt, sondern bewusst und gezielt verschleiert. Ähnlich wie bei dem Oktoberfestattentat hält die Bundesanwaltschaft auch bei der Aufklärung der NSU-Morde starr an der Einzeltäter-Hypothese fest, obwohl unzählige Indizien dagegensprechen. Man gewinnt den Eindruck, dass die öffentlichen Behörden die Angelegenheit lieber schnell und zügig abzuschließen, anstatt sie sauber und nachhaltig aufzuarbeiten. Die Manipulationen (z.B. Vernichtung von wichtigen Akten des Verfassungsschutzes, die zur Aufklärung beitragen), Zeugen, die sich am Tag, an dem sie vor den Behörden über die NSU auspacken wollen sterben und deren Tod nicht weiter ermittelt wird, Auffälligkeiten, Zweifel, Ungereimtheiten und merkwürdigen Entscheidungen sind umfangreich und vielfältig.

Und was macht die deutsche Zivilgesellschaft? Exekutive und Judikative winden sich und entziehen sich ihrer Verantwortung; Medien schwanken, einige hinterfragen partiell, viele übernehmen aber gezwungenermaßen vornehmlich die vorgegebenen Ausführungen von Staatsanwälten und Polizei – und manche hetzen wieder; der Rest? Schweigt.

Status Quo 2014: Rechts gewinnt

Bei Landtagswahl in Baden Württemberg gelang es der NPD im April 1968 mit unfassbaren 9,8 Prozent in den Landtag einzuziehen. Bei der nur ein Jahr später stattfindenden Bundestagswahl scheiterte die Partei mit 4,3 Prozent nur knapp an der Fünfprozenthürde. Im Februar 2014 stimmt die Bevölkerung in der Schweiz mit über 50 Prozent für eine härtere Gangart gegen Ausländer, was auch an deutschen Stammtischen gefeiert wird. Bei der Bundestagswahl 2013 scheiterte
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die AfD mit 4,7 Prozent nur knapp an der Fünfprozenthürde. Es ist damit zu rechnen, dass diese nationalistisch eingestellte rechtspolulistische europakritische Partei, die für restriktivere Regeln bei der Einwanderung nach Schweizer Modell wirbt und für ähnliche Volksabstimmungen eintritt, bei der nur ein Jahr später stattfindenden Wahl zum Europäischen Parlament mit über 4 Prozent ins Parlament gewählt wird.

Spricht man heute mit Freunden, Fremden und Bekannten in Deutschland über die Verbrechen der Nazis im Zweiten Weltkrieg, dann stellt sich schnell ein unbehagliches Gefühl ein. Fast wie angelehrt instinktiv wird mit dem Kopf geschüttelt und betont, dass man nicht wirklich begreifen könne, wie es zu diesem faschistischen System kommen konnte; dass es möglich war, dass eine so überwältigende Mehrheit der Gesellschaft dieses rassistische System und seine bestialischen Morde stillschweigend geduldet oder gar offen unterstützt hat; dass dies heute nicht mehr vorstellbar wäre. Und überhaupt, die Vorstellung, dass man selbst auch nur irgendeinen unterstützenden Beitrag dazu leisten könnte, niemals! Aber ganz ehrlich: Können wir uns da wirklich so sicher sein? Ist unsere Gesellschaft wirklich so gesichtert? Oder ist sie nicht schon längst dabei, Ähnliches zu dulden und zu unterstützen – und vielleicht war es auch seit dem Zweiten Weltkrieg sogar nie anders?!

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