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Eine kleine Gemeinde in Bayern verankert Co Creation im dorfeigenen Grundgesetz

Natürlich setze ich mich in den vergangenen Monaten nicht nur mit der Frage auseinander, wie unter Einsatz von interaktiven Innovationsmethoden im interdisziplinären Team co-kreativ neue Kommunikationslösungen und Services entwickelt werden, die sich hauptsächlich im Unternehmensbereich abspielen. Ich bin ein politisch und (zivil)gesellschaftlich sehr interessierter (und inzwischen auch wieder engagierter) Mensch. Und meine ersten Jahre in der Berufswelt drehten sich tatsächlich hauptsächlich um Arbeit für Kund*innen aus dem Public-Bereich, also Ministerien, Botschaften, Universitäten u.ä. Daher ist es nur naheliegend, dass ich mich auch damit auseinandersetze, inwieweit jene Prinzipien und Philosophien, denen ich mich hier widme, auch im politischen oder (zivil)gesellschaftlichen Bereich funktionieren. Und hier gibt es tatsächlich schon unzählige interessante Beispiele – und meiner Meinung nach ein noch viel größeres Potential für unsere Demokratie. Aus diesem Grund wird es hier in den Fundstücken nun auch zwischendurch interessante Benchmarks aus diesem Lebensbereich geben.
Das 2-Säulen-Modell von Weyarn

Ein sehr schönes Beispiel wie das funktionieren kann finden wir in der bayerischen Provinz. Die kleine Gemeinde Weyarn hat 3437 Einwohner und liegt irgendwo zwischen München und Rosenheim im oberbayerischen Landkreis Miesbach, direkt an der A8. In einer Zeit, in der sich die Urbanisierung von einem Trend zu einer nachhaltigen Entwicklung herauskristallisiert, steht auch Weyarn wie viele anderen Dörfer vor einer ungewissen Zukunft. Nicht zuletzt deswegen ist gerade bei den kleinen Dörfern und Gemeinden Kreativität und Innovation gefragt, um die eigenen Bürger an der Gestaltung der eigenen Zukunft zu beteiligen. Weyarn hat da einen ganz interessanten Ansatz gefunden.

CC Hagar66, Wikipedia

Und zwar entwickelte sich dort bereits seit 1993 ein so genannten „Zwei Säulen Modell“. So gibt es neben dem ganz normalen Gemeinderat diverse (autonome) Arbeitsgruppen von Bürgern, die sich mit bestimmten Zukunftsthemen auseinandersetzen (z.B. zeitgemäßes Altern im Dorf) und Vorschläge ausarbeiten, die sie wiederum dem Gemeinderat vorstellen.

CC Hagar66, Wikipedia

Bürgerbeteiligung wird zum Weyarner Grundgesetz“ titelte der der Holzkirchner Merkur im Oktober 2008 die zukunftsweisende Entscheidung des Weyarner Gemeinderates, nachdem dieser zuvor einstimmig – als erste Gemeinde in Bayern – eine „Mitmach-Satzung“ verabschiedete und damit die Bürgerbeteiligung auf lange Zeit verankerte.

In der Präambel der Satzung heißt es:

Wir wollen auf diese Weise den Weg zu einer solidarischen Bürgergesellschaft gehen, in der Eigenverantwortung gestärkt wird, das Gemeinwohl im Vordergrund steht und das Subsidiaritätsprinzip der Bayerischen Verfassung gestärkt wird.

Patrizia Nanz, die Autorin des Buches „Die Konsultative – Mehr Demokratie durch Bürgerbeteiligung“ dazu im philosophischen Radio:

Am Anfang fanden es die Repräsentanten (des Gemeinderats, Anmerkung d. Verfassers) überhaupt nicht witzig. Sie haben gedacht, sie müssten jetzt ihre Macht abgeben und meinten, was wollen denn die Bürger, wir wissen es doch besser. Im Laufe der Zeit haben sie gemerkt, dass sie erstens keinen Machtverlust dadurch haben und dass sie durch Ideen bereichert werden, auf die sie selbst nicht gekommen sind.

Co Creation in Gesellschaft und Politik

Das Beispiel von Weyarn zeigt, dass Co Creation und die Einbindung von Nutzerinnen (in diesem Fall natürlich Bürgerinnen, aber unabhängig davon, sollen sie die zu entwickelnden Angebote nachher „nutzen“) in den lösungsorientierten Kreationsprozess keine Erfindung der selbsternannten Wirtschaftselite in den vergangenen Jahre ist, sondern bereits längst in Teilen unserer Gesellschaft gelebt wird. Und ich denke, dass da noch unglaublich viel Potential besteht, dies weiter auszubauen. Nicht nur um zu lernen und das ganze auch weiterzuentwickeln, sondern insbesondere für unsere Demokratie und damit die Akzeptanz von politischen Entscheidungen. Nicht zuletzt bin ich der Meinung, dass Bürger*innen bei der Gestaltung der uns alle betreffende Zukunft aktiv involviert werden sollten und so nicht nur neue Impulse und Ideen sondern auch nachhaltig tragfähige Konzepte entstehen. Unsere Zukunft sollte eben nicht in den Händen einiger weniger (politisch durchaus legitimierter) Menschen liegen, sondern im gesellschaftlichen Kollektiv.

Ein Ansatz, wie er in Weyarn praktiziert wird, kann durchaus dazu geeignet sein, Politikverdrussenheit abzubauen und bestehenden Missmut und Misstrauen durch Engagement in Verständnis und eine positive Atmosphäre zu ändern. Und ich finde es nicht zuletzt weitaus konstruktiver, Bürger*innen, die sich am politischen Entscheidungsprozess beteiligen möchten, in etwaigen Arbeitsgruppen aktiv zu involvieren, als lediglich ein passives „direktes“ Wahlrecht aus der Ferne ausüben zu lassen. Denn auch hier gilt, was im stillen Kämmerchen oder vom heimischen Sofa aus entschieden werden kann, ist meist destruktiver, als sich im (kulturell) interdisziplinären Team zusammenzusetzen und ein alternative Lösungskonzept zu erarbeiten. Nicht nur meckern und kritisieren, sondern tatsächlich im gemeinsamen Austausch funktionierende Innovationen entwickeln.

Eine Philosophie mit Zukunftspotential! Einfach irgendwie anders denken.

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