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Kommunikation verstehen: Du, PorNoKratie, was ist eigentlich `Gegenöffentlichkeit`?

Oh, das ist eigentlich ganz einfach…

Um den thematischen Bezug zu PorNoKratie herzustellen, schauen wir zuerst einmal, was der gute Jürgen Habermas (Sorry Niklas!) über die Digitale Öffentlichkeit zu sagen hat…

Habermas knüpft in seinem 2006 erschienenen Werk `Kleine politische Schriften IX` an seine Arbeit `Strukturwandel der Öffentlichkeit` an und erweitert diese um die Möglichkeiten, die sich durch das Aufkommen des Internets sowie speziell des Web 2.0 entwickelt haben. So sieht Habermas in der modernen Internetkommunikation die Chance, „die Schwächen des anonymen und asymmetrischen Charakters der Massenkommunikation auszugleichen, indem es den Wiedereinzug interaktiver und deliberativer Elemente in einen unreglementierten Austausch zwischen Partner[n] zulässt, die virtuell, aber auf gleicher Augenhöhe miteinander kommunizieren“ (Habermas 2006). Diese interaktiven Rückkanäle erlauben es den Rezipienten, nicht nur Inhalte und Informationen passiv zu konsumieren, sondern selbst aktiv an der Kommunikation im öffentlichen Raum teilzunehmen und Inhalte an die breite Öffentlichkeit zu verteilen. Habermas spricht in diesem Zusammenhang von der Wiederbelebung der „historisch versunkene[n] Gestalt eines egalitären Publikums von schreibenden und lesenden Konversationsteilnehmern und Briefpartnern“ (ebd.).

Aber auch gesamtgesellschaftlich sieht Habermas in den Möglichkeiten, die sich durch die Entwicklung des Web 2.0 ergeben haben durchaus Gewinne und Vorteile. So würden durch die Internetkommunikation, die es jedem Nutzer ermöglicht, Nachrichtenwerte zu erschaffen und zu verbreiten, demokratische Dienste geleistet, da etwa eine Unterdrückung von spontaner öffentlicher Meinung durch autoritäre Regime unterminiert werde.
Dass dieser Gedanke durchaus Relevanz besitzt, zeigte sich nicht zuletzt im Sommer 2009, als es in Iran im Anschluss an die dortigen Präsidentenwahlen zu einer Protestbewegung kam, die sich insbesondere über das Internet organisierte und über diverse Internetkanäle (Stichwort: Social Media) Bilder aus dem Iran in die Welt schickte.

Habermas sieht durch Web 2.0 (und Social Media) zudem auch eine Fragmentierung des Massenpublikums begünstigt, welches „im virtuellen Raum in eine riesige Anzahl von zersplitterten, durch Spezialinteressen zusammengehaltenen, Zufallsgruppen“ agiert (ebd.).

Jetzt gehen wir ein bisschen weiter zurück und sehen mal, was Friedhelm Neidhardt im bei PorNoKratie.com bereits thematisierten `Arenenmodell der Öffentlichkeit` zu sozialen Bewegungen geschrieben hat…

Neidhardt hat in seinem Arenenmodell „soziale Bewegungen“ beschrieben, die sich dann wenn zwischen der durch die Öffentlichkeitsakteure (Sprecher aka PR sowie Medien) veröffentlichten Meinung und der Publikumsmeinung zu große Differenzen bestehen. In diesem Fall mobilisieren sich Publikumsgruppen, um selbst Zugriff auf die Öffentlichkeitsarenen zu erhalten und damit nicht nur entscheidend auf die öffentliche Meinung sowie die Publikumsmeinung einzuwirken, sondern auch politische Entscheidungsprozesse zu beeinflussen (Neidhardt 1994: 8). Dieses von Neidhardt als „soziale Bewegung“ bezeichnete Verhalten wird an anderen Stellen in der wissenschaftlichen Literatur auch als „Gegenöffentlichkeit“ bezeichnet, was soviel meint, wie eine um einen „spezifischen gesellschaftlichen Diskurs oder Standpunkt herum“ strukturierte Teilöffentlichkeit der Gesellschaft, die sich „gegen eine hegemoniale Öffentlichkeit“ richtet (Krotz 1998: 653).

Das Arenenmodell führt somit zu der Annahme, dass ein gesellschaftliches Teilsystem wie beispielsweise die Politik die in der Gesellschaft vorherrschende Meinungen und Themen beobachten und identifizieren und anschließend darauf reagiert und die Gesellschaft wiederum dadurch auf die Politik einzuwirken versucht, diese ein Stück weit sogar kontrollieren kann (vgl. Puhl 2003: 38). Die Öffentlichkeit als intermediäres System hat also die Funktion zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Teilsystemen wie beispielsweise Politik und Bevölkerung zu vermitteln und einen Austausch herzustellen.

Unter dem Begriff der „Gegenöffentlichkeit“ können somit jene Teilöffentlichkeiten verstanden werden, die ihre eigenen Interessen nicht prominent genug in „der“ Öffentlichkeit vertreten und diskutiert sehen und versuchen, sich mit Hilfe von aufmerksamkeitserregenden Aktionen und durch alternative Medien Gehör zu verschaffen, teilweise auch über die bestehenden Massenmedien (vgl. Engesser/Wimmer 2009: 46).

Und jetzt geben wir uns die volle Kante und werfen mal einen ausgiebigeren Blick in die wissenschaftliche Fachliteratur und schauen, was dort so zum Thema Gegenöffentlichkeit steht…

Etablierte Öffentlichkeitstheorien haben bisher die Rolle der Gegenöffentlichkeit hauptsächlich der Zivilgesellschaft im Allgemeinen sowie alternativen Medien oder Nicht-Regierungsorganisationen im Besonderen zugeordnet (vgl. ausführlich Wimmer 2007: 21) Als Medien der Gegenöffentlichkeit können demnach zum einen alternative Massenmedien gefasst werden, die eine massenmediale Leitmedienfunktion ausführen sowie Medien mit geringer Reichweite, wie sie beispielsweise eher lokale und regionale Offene Kanäle aufweisen (vgl. Engesser/Wimmer 2009: 46).
Aber nicht nur alternative Massenmedien wie beispielsweise die Zeitung „taz“ oder Offene Kanäle wie der Berliner Fernsehsender „Alex“ sind unter dem Begriff der Gegenöffentlichkeit zu verstehen, auch „neue soziale Bewegungen“ und nichtstaatliche Organisationen können als partizipatorische Öffentlichkeiten als Gegenöffentlichkeiten aufgefasst werden. Eine Gegenöffentlichkeit kann dabei auf der einen Seite positive Funktionen innerhalb einer demokratischen Gesellschaft ausüben und ist gleichzeitig untrennbar mit der Medienöffentlichkeit verbunden (vgl. ebd.).

Und natürlich die Studentenproteste der 1968er, klar…

Klaus Plake et al. sehen in den Studentenprotesten der 1960er Jahren den Vorläufer dieser neuen sozialen Bewegungen (–> Wir erinnern uns: Neidhardt!), deren Ursache in der faktischen Intransparenz von Institutionen der damaligen Zeit lag (vgl. Plake et al. 2001: 24). Durch ihre öffentlichkeitswirksamen Aktionen wie beispielsweise Demonstrationen, Straßenblockaden und Massenversammlungen auf der Straße, aber auch mit eigenen „Medien“, wie Flugblättern, Büchern, Broschüren oder Schriftenreihen (vgl. Büteführ 1995: 82 ff) erzwangen die Studenten eine Öffentlichkeit für ihre Anliegen und Themen und setzten die kritisierten Institutionen und nicht zuletzt die Politik unter Druck.

„Die Studenten versuchten, inhaltliche Elemente einer bürgerlich-liberalen Idee von Öffentlichkeit einzuklagen, indem sie Diskussionen demonstrativ erzwangen. Sie wollten Erfahrungen, Lebenszusammenhänge, geschichtliche Gegenwart (Vietnam, die Befreiungsbewegungen der Dritten Welt, die wirkliche Erfahrung ihres eigenen Studiums) in einen öffentlichen Diskussionszusammenhang bringen, den die formale Öffentlichkeit hintertreibt“ (Negt/Kluge 1972: 21).

Karl-Heinz Stamm zufolge ist der Begriff der Gegenöffentlichkeit im Rahmen der damaligen Studentenproteste als „Gegenbegriff gegenüber einer von Massenmedien und politischen Autoritäten manipulierten Öffentlichkeit“ und damit als „Kampfbegriff“ zu verstehen, „der sich gegen das, den Herrschaftszusammenhang legitimierende Mediensystem wendet (–> Wir erinnern uns: Habermas!), gegen dessen Struktur und Arbeitsweise“ (Stamm 1988: 40). Jeffrey Wimmer spricht sogar von einer „medialen Karriere“, den der Begriff der Öffentlichkeit im Rahmen der Studentenproteste angetreten habe (vgl. Wimmer 2007: 154).

Diese Gegenöffentlichkeit, die von einer fundamentalen Kritik an den einflussreichen bestehenden Massenmedien begleitet wurde, blieb kein einmaliges Phänomen sondern wurde beispielsweise auch in den 1980er Jahren von Alternativ- und Ökologiebewegungen aufgegriffen und fortgeführt (vgl. Plake et al. 2001: 24) und in der Folge „ein breites Spektrum alternativer Medien (Zeitungen, Videogruppen, Radios, Verlage usw.) hervorgebracht“ (Stamm 1989: 8). Allerdings wurde ein großer Teil dieser alternativen Medien in späteren Jahren wieder vom bestehenden Mediensystem samt seiner kommerzieller Ausrichtung sowie den journalistischen Qualitätskriterien zunehmend assimiliert (vgl. Stamm 1989: 10). Und dennoch wird gerade heutzutage „unter dem Eindruck der raschen gesellschaftlichen Aneignung neuer Medien […] vielfach eine Renaissance der Gegenöffentlichkeit und eine digitale Fortführung alternativer Kommunikation postuliert“ (Engesser/Wimmer 2009: 44).

Ach ja: Ein Schelm, wer im Verlauf des Lesens dieses Artikels an Unibrennt und/oder Stuttgart 21 denken musste…

Du, PorNoKratie, was haben denn nun eigentlich PR und Social Media mit Gegenöffentlichkeit zu tun?

Oh, das ist eigentlich ganz einfach…
Aber das erzähl` ich dir ein anderes Mal…

Quellen
* Büteführ, Nadja (1995): Zwischen Anspruch und Kommerz: lokale Alternativpresse 1970- 1993. Systematische Herleitung und empirische Überprüfung. Waxmann, Münster / New York.
* Engesser, Sven / Wimmer, Jeffrey (2009): Gegenöffentlichkeit(en) und partizipativer Journalismus. In: Publizistik, 54. Jg., 1, [S. 43-63].
Habermas, Jürgen: Ach, Europa. Kleine politische Schriften XI, Frankfurt am Main 2008, S. 161f.
* Krotz, Friedrich (1998): Stichwort Gegenöffentlichkeit. In: Jarren, Otfried / Sarcinelli, Ulrich / Saxer, Ulrich (Hrsg.), Politische Kommunikation in der demokratischen Gesellschaft. Ein Handbuch mit Lexikonteil. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Opladen.
* Negt, Oskar / Kluge, Alexander (1973): Öffentlichkeit und Erfahrung. Zur Organisationsanalyse von bürgerlicher und proletarischer Öffentlichkeit.
* Neidhardt, Friedhelm (1994): Öffentlichkeit, öffentliche Meinung, soziale Bewegung. In: Neidhardt, Friedhelm (Hrsg.) / Friedrichs, Jürgen / Lepsius, Rainer M.: Öffentlichkeit, öffentliche Meinung, soziale Bewegung. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 34/1994, Westdeutscher Verlag, Wiesbaden. [S. 7-40].
* Plake, Klaus/Jansen, Daniel/Schuhmacher, Birgit, 2001: Öffentlichkeit und Gegenöffentlichkeit im Internet. Politische Potenziale der Medienentwicklung. Wiesbaden.
* Puhl, Ria (2003): Klappern gehören zum Handwerk: Funktion und Perspektive von Öffentlichkeitsarbeit in der Sozialen Arbeit. Juventa-Verlag, Weinheim / München.
* Stamm, Karl-Heinz (1988): Alternative Öffentlichkeit. Die Erfahrungsproduktion neuer sozialer Bewegungen. Campus-Verlag, Frankfurt a.M. / New York.

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