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Meine ganz persönliche Faszination für Bücherschränke im öffentlichen Raum

Seit einigen Jahren schwärmen viele Menschen (begleitet von begeisterten Multiplikatorinnen) von der so genannten „Share Economy“. Auch wenn der Grundgedanke gerade auch aus gesellschaftlicher Kollektivsicht großartig ist – nämlich das Schaffen eines alternativen Marktes, auf dem Dinge und Dienstleitungen untereinander geteilt und getauscht werden – so fokussiert sich die Betonung inzwischen – meiner Meinung nach leider – viel zu sehr auf den zweiten Begriff des zusammengesetzten Wortes: Economy. Uber ist sicherlich das Extrembeispiel, das zeigt, dass nicht immer tatsächlich das Wohlergehen der Nutzerinnen im Fokus steht, sondern letztlich lediglich Mittel zum Zweck für den eigenen wirtschaftlichen Erfolg sein kann. Wieviel von der Grundidee des Teilens auf einem alternativen Markt da tatsächlich noch drin steckt, wage ich zu bezweifeln. Und dennoch gibt es nach wie vor Sharing-Ideen, die sich großer Beleibtheit erfreuen und die auch durchaus Potential für neue Ideen bieten.
Mein Buch – Dein Buch – Unser Buch

Das Sharing-Prinzip finden wir in unseren Städten nicht nur beim digital unterstützen Tausch von Wohnungen, Fahrzeugen, Parkplätzen oder Strom sondern auch beim haptischen Tausch von Literatur. Ende der 1990er Jahre haben sich in vielen Deutschen Städten nach und nach öffentliche Bücherschränke etabliert, deren Idee so simpel wie sympathisch ist: Rund um die Uhr zugängliche Bücherregale, in denen Interessierte jederzeit stöbern, Bücher entnehmen oder aber eigene Bücher mit anderen teilen können. Für jeden Stadtbewohnerin zugängliche Literatur.

Das erste Mal habe ich einen solchen Bücherschrank in Mainz wahrgenommen, als ich Mitte der 2000er Jahre meinen Bruder besuchte, der an der dortigen Universität studierte. Mein Bruder lebt inzwischen in Hamburg und als ich ihn am vergangenen Wochenende dort besuchte, sah ich auf einmal rollende Bücherregale. Denn die Hamburger VHH hat inzwischen eine Vielzahl der Busse mit Bücherregalen ausgestattet, in denen sich die Nutzer*innen bei Belieben bedienen können. In Schleswig Holstein und andernorts werden inzwischen ausgediente Telefonzellen in gelbe Büchertankstellen umfunktioniert. Ohnehin sind die Konzepte inzwischen vielfältig und unheimlich kreativ (siehe: Liste öffentlicher Bücherschränke in Deutschland)! Rollendes Bücherregal im Bus der VHH Hamburg

Kleine Konzepte sensibilisieren für Größeres

Dass die Idee des öffentlichen Bücherschranks auch konzeptionell durchdacht genutzt werden kann, konnte ich bei meinem letztjährigen Besuch in Rottenburg am Neckar sehen, wo ich einst aufgewachsen bin. Dort plant man den Bau einer neuen Stadtbibliothek und hat auf dem betreffenden Gelände bereits alte Gebäude abgerissen. Für die Übergangszeit bis zur Eröffnung der neuen Stadtbibliothek hat man auf dem Areal eine kleine Leseecke eingerichtet, die “Buch-Haltestelle”: Ein jederzeit zugängliches öffentliches Bücherregal flankiert von zwei Sitzbänken. Der Grundgedanke der Bibliothek heruntergebrochen und verknüpft mit dem populären Sharing-Prinzip, um die Stadtbewohner*innen bereits für die entstehende Stadtbibliothek zu sensibilisieren. Eine simple Idee mit großer Wirkung.

Ohnehin steckt in den öffentlich zugänglichen Bücherregalen mehr als nur die Idee Bücher miteinander zu teilen. Es geht ein Stück weit auch darum, Menschen für das Thema Lesen zu sensibilisieren und sie auch an Literatur – oder wie im Beispiel von Rottenburg – an Stadtbibliotheken heranzuführen. Denn Lesen ist nach wie vor eine zentrale Bildungsvoraussetzung und Schlüsselqualifikation. Und selbst wenn Bücher als nicht-digitales Medium bei Jugendlichen auch weiterhin (das Rieplsche Gesetz lässt grüßen) einen hohen Stellenwert besitzen (siehe JIM Jugendstudie 2015), so kann es sicherlich nicht schaden, Jung und Alt mit Konzepten wie den Bücherschränken im urbanen und ländlichen Raum zu konfrontieren.

Ich mag sie, diese kleinen alternativen Ideen wie die öffentlichen Bücherschränke. Man könnte geneigt sein, sie als Offline-Adaption der digitalen Sharing-Economy zu bezeichnen. Aber das wäre nicht ganz richtig. Denn das Konzept der öffentlichen Bücherschränke war schon vorher da und hat sich völlig unabhängig entwickelt. Natürlich beobachte ich die digitale Sharing-Ökonomie nach wie vor mit großem Interesse. Aber mindestens genauso faszinierend finde ich die alternativen Konzepte mit mehr Bodenhaftung und geringerem kommerziellen Fokus. Deswegen ab damit zu meinen Fundstücken… 🙂

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