Anfang der 1950er Jahre führte der amerikanische Sozialpsychologe Salomon Asch ein Experiment durch. (vgl. Noelle-Neumann 1979: 59 ff.) Er zeigte einer Gruppe von Personen drei unterschiedlich lange Striche, dazu einen weiteren Strich als Vergleich. Nun sollten die Versuchspersonen sagen, welcher Strich der Dreiergruppe der Länge des zusätzlichen Striches entspricht. Die Antworten waren eindeutig, jeder konnte den richtigen Strich nennen und zuordnen. Daraufhin wiederholte Asch dieses Experiment, diesmal schleuste er allerdings zu der Versuchsperson ausschließlich eingeweihte Personen ein, die auf seine Anweisung hin einen falschen Strich zuordnen sollten. Das Ergebnis war beeindruckend: „selbst in einer harmlosen Frage schließen sich die meisten Menschen der Majoritätsmeinung an, auch wenn sie keinen Zweifel daran haben können, dass sie falsch ist.“ (Noelle-Neumann 1979: 60) Obwohl die Versuchsperson genau sieht, dass die Vergleichslinie, die von der (eingeweihten und instruierten) Mehrheit als gesuchte gleichlange Linie nicht in Frage kommt, schließt sie sich dieser Mehrheit an. „An der Hoffnung zuzulernen kann es nicht liegen, es muss die Furcht vor der Absonderung sein.“ (Noelle-Neumann)
Das Ergebnis, welches das Asch-Experiment lieferte diente als Vorlage für die Theorie der so genannten Schweigespirale. Dabei bleibt dieses Phänomen nicht nur alleine auf dieses Laborexperiment mit dem Zuordnen von unterschiedlich langen Strichen beschränkt. Vielmehr lässt sich dieses Verhalten auch auf einer größeren gesellschaftlichen Ebene beobachten: in der öffentlichen Meinung.
Wie Elisabeth Noelle-Neumann und ihre Kollegen in unzähligen Studien nachweisen konnten (vgl. Noelle-Neumann 1979) kann man in der Gesellschaft, oder besser in der Öffentlichkeit, beobachten, dass Menschen dazu tendieren, sich der vorherrschenden Mehrheit anzuschließen. Oder dem, was sie für die vorherrschende Mehrheit halten. Denn „unabhängig vom Thema, unabhängig von Überzeugungen reden die einen lieber und die anderen ziehen es vor zu schweigen.“ Als Konsequenz ergibt sich, dass man nur die Einstellungen derjenigen wahrnimmt, welche nicht schweigen, auch wenn dies nur der kleinere Teil ist. So kann es durchaus sein, dass man die öffentliche Meinung als herrschende Meinung definiert, obwohl dem nicht so ist. Dabei wird ein Prozess in Gang gesetzt, der sich wie ein Teufelskreis fortsetzt: „Die eine Meinung begegnet ihm immer häufiger und selbstbewusster, die andere ist immer weniger zu hören. Je mehr Individuen diese Tendenz wahrnehmen und sich anpassen, desto stärker scheint das eine Lager zu dominieren und das andere auf dem absteigenden Ast. Somit kommt (…) ein Spiralprozess in Gang, der eine Meinung immer fester und fester als herrschende Meinung etabliert.“ (Noelle-Neumann 1979: 173) Menschen sind insofern in ihrem Verhalten nichts anderes als Herdentieren: „den Kontakt mit dem Schwarm verlieren könnte Lebensgefahr bedeuten“. Deswegen lenkt das Individuum ein und schließt sich dem Schwarm an. Noelle-Neumann bezeichnet sie hier auch als Gattung der „Massenmenschen“. (Noelle-Neumann 1979: 163) „Um diesen Zustand zu vermeiden, versucht der einzelne, das Meinungsklima abzuschätzen und sein Verhalten danach auszurichten, um von der Gemeinschaft akzeptiert zu werden.“ (Csikszentmihalyi 1992: 35)
Mihaly Csikszentmihalyi spricht statt dem von Noelle-Neumann verwendeten Begriff der „Isolationsfurcht“ auch von der „Furcht vor Einsamkeit“. (vgl. Csikszentmihalyi 1992: 33)
Die Schweigespirale ist ein Prozess, welcher aus der Entstehung und Ausbreitung der öffentlichen Meinung resultiert. (vgl. Noelle-Neumann 1979: 86).
bluejax
Rottenburg, den 11. September 2005
Literaturverzeichnis:
Csikszentmihalyi, Mihaly (1992): Öffentliche Meinung und die Psychologie der Einsamkeit. In: Wilke, Jürgen (Hrsg.): Öffentliche Meinung: Theorie, Methoden, Befunde – Beiträge zu Eh-ren von Elisabeth Noelle-Neumann . Freiburg / München: Verlag Karl Alber. S. 31-40.
Noelle-Neumann, Elisabeth (1979): Öffentlichkeit als Bedrohung – Beiträge zur empirischen Kommunikationsforschung. Freiburg / München: Verlag Karl Alber.
Noelle-Neumann, Elisabeth (1980): Die Schweigespirale. Öffentliche Meinung – unsere soziale Haut. München: R. Riper & Co. Verlag.
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Erstveröffentlichung bei www.myblog.de/bluejax: 11.9.05 21:32
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Von www.myblog.de/bluejax übernommene Kommentare:
1. 7an / Website (12.9.05 19:08)
„bissel arg klein die Schrift“
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