Ich hatte es im vorangegangenen Artikel schon einmal angesprochen: Ich möchte mich in der neu eingeführten Kategorie „Schnittstellenkompetenz“ mit Interdiszipinitarität bezüglich Social-Media auseinandersetzen. Und da ich das Intereffikationsmodell schon mal angeschnitten habe, möchte ich auch gleich hiermit beginnen!
In besagtem Artikel habe ich geschrieben, dass jemand, der die wechselseitigen Beziehungen und Abhängigkeiten von Journalismus und Public Relations kennen würde und zudem das Internet der heutigen Generation mit seinen Sozialen Netzwerken, User-generated Content, Blogs und so weiter – kurz Social-Media – versteht, nicht offen als PR-Agent bei einem verantwortlichen Wikipedia-Moderator anrufen würde, um diesen im Namen eines Unternehmens von dessen Relevanz und positivem Image zu überzeugen.
Internet erfordert Veränderung & Anpassung
Mag sein – und davon bin ich überzeugt – dass ein solches Vorgehen in der traditionellen Offline-Welt heute noch immer funktioniert. Der gute Draht von einzelnen PR-Beratern zu bestimmten Journalisten mag auch heute noch vielfach darüber entscheiden, ob und vor allen Dingen wie ein von diesem PR-Berater vertretenes Unternehmen im TV oder in Printpublikationen redaktionell aufgegriffen und dargestellt wird.
Doch ich wage mich soweit aus dem Fenster zu lehnen, um zu sagen, dass diese traditionelle Form der PR-Arbeit im Internet so nicht funktionieren wird. Natürlich gibt es auch im Internet jene Fraktion der traditionellen Journalisten, die sich von der PR-Seite hegen und pflegen lassen und sich dafür erkenntlich zeigen (das meine ich jetzt nicht negativ, siehe unten). Und bei einigen Bloggern mag diese Vorgehensweise auch zünden (es soll sogar einflussreiche Blogger geben, die sich für ihre Einträge und Tweets bezahlen lassen, aber das ist ein anderes Thema), doch bei einem ganz großen Teil eben auch nicht. Die große Mehrheit der „neuen Journalisten“ (gewagt, ich weiß), insbesondere jene mit starker Multiplikatorfunktion, sind geprägt von Sensibilität und Stolz. Kommt eine PR-Agentur und möchte all zu offensichtlich ihre Inhalte dort platzieren, wird auch schon mal mit negativen Artikeln darauf reagiert.
Gerade, wenn es darum geht, Relevanz oder ein gutes Image zu vermitteln, ist es nicht mit einem Telefonanruf oder einer einfachen E-Mail getan. Dies gilt sowohl für Blogger, aber noch viel stärker für die eingeschworene Gemeinschaft, die sich um die Inhalte der Wikipedia verantwortlich zeigt. Vielmehr muss man die bisherig gekannte Form der PR komplett beiseite legen. Und genau hier kommt jetzt nämlich der Einsatz von Social-Media ins Spiel!
Determination & Intereffikation
Was verbirgt sich hinter dem so genannten Intereffikationsmodell? Der Ansatz versucht sich in einer komplexen Betrachtung des Verhältnisses zwischen den beiden Systemen PR und Journalismus und schließt an die Determinationsthese an. Untersuchungen und Studien haben ergeben, dass PR die handelnden Journalisten sowie die redaktionelle Berichterstattung nicht nur am Rande, sondern merklich und stark beeinflussen. So negativ wie sich das anhört ist es allerdings nicht. Selbstverständlich benötigen Journalisten diesen Input (beispielsweise Pressemitteilungen oder Pressekonferenzen), um auf Informationen hingewiesen zu werden, die sie an die breite Öffentlichkeit weitergeben können. Während die Determinationshypothese eine einseitige Abhängigkeit des Journalismus von der PR sieht, nimmt der Intereffikationsansatz eine wechselseitige Abhängigkeit an.
Im Grunde genommen herrscht hiernach zwischen Public Relation und Journalismus nicht nur eine gegenseitige Abhängigkeit, sondern ein sich gegenseitiges Ermöglichen. Beide beeinflussen sich gegenseitig und adaptieren gegenseitig die jeweiligen Routinen und Bedingungen des Anderen. Sowohl PR, als auch Journalismus nehmen damit einen entscheidenden Platz ein zwischen angrenzenden Systemen wie Unternehmen und Konsument, zwischen Politik und Wähler (Kommunikatoren und Publikum).
Szenario-Spiel
Stellen wir uns folgendes Szenario vor: Unternehmen A und B gelten seit Jahren als Marktführer auf ihrem Gebiet. Nehmen wir an, beide Unternehmen verfügen über einen enormen Werbe- und Marketingetat, der sich in unzählige TV-Spots, Plakaten und Zeitungsanzeigen wiederspiegelt. Nehmen wir weiter an, die beiden Unternehmen liefern sich seit jeher einen erbitterten Kampf um die Vorherrschaft auf dem Markt, was auch Negativschlagzeilen mit sich bringt. Beide setzen auf verschiedene PR-Agenturen, um sich immer wieder in der öffentlichen Wahrnehmung richtig zu platzieren. Der restliche Markt wird von Unternehmen C, D und E besetzt, die jeweils kaum Geld in ihre Öffentlichkeitsarbeit stecken, aufgrund ihrer jeweiligen Spezialisierungen in Produkt und Preis dennoch stabile Ergebnisse erwirtschaften, wenn auch weitestgehend außerhalb der Wahrnehmung eines Großteils der öffentlichen Wahrnehmung.
Nun stellen wir uns vor, auf einmal schickt sich ein neues Unternehmen an, in den Markt einzudringen, Unternehmen N. Schließlich haben wir noch das Unternehmen F, das auf dem Markt und in der öffentlichen Wahrnehmung bisher sogar noch hinter den Unternehmen C, D und E versteckt war. Während bei den Unternehmen A, B, C, D und E weiterhin alles seinen gewohnten Gang geht, setzen die beiden Unternehmen N und F auf eine neue Online-Strategie. Beide beginnen sich nach und nach auf den unterschiedlichsten Sozialen-Netzwerken und Communities im Internet einzunisten. Etwa mit einem eigenen Facebook-Profil, von dem jeder registrierte Nutzer Fan werden kann und wo die Mitarbeiter der beiden Unternehmen Bilder von Veranstaltungen und der Arbeit veröffentlichen; daneben ein MySpace-Profil, auf dem Flickr-Slideshows die Mitarbeiter und Produktionsstätten vorstellen; auf Twitter kommentieren die Angestellten in lockerem Sprachstil die aktuelle Stimmung, veröffentlichen Handyshots und interessante Links; im Unternehmensblog erscheinen interessante Anekdoten aus dem Arbeitsalltag und so weiter.
Soial-Networking als moderne PR
Da alle von den beiden Unternehmen N und F bespielten Profile bei Facebook, MySpace, Twitter und im Blog regelmäßig mit neuen interessanten und abwechslungsreichen Inhalten bespielt werden, bauen sie sich nach und nach eine Fangemeinde auf. Fans, die die präsentierten Inhalte spannend und unterhaltsam finden, diese Abonnieren und ihren auf den jeweiligen Profilen vernetzten Freunden davon erzählen. Weil die Inhalte und auch das Design der verschiedenen Profile einzigartig scheinen, werden immer mehr Internetnutzer darauf aufmerksam.
Natürlich beschränkt sich der Bekanntheitsgrad von den Internetaktivitäten der Unternehmen N und F auf überschaubare Kreise, die sich hauptsächlich auf die jeweiligen Netzwerke beziehen. Auf dem Markt selber sind sie weiterhin hinter den Unternehmen A, B, C, D und E positioniert, die ihre Öffentlichkeitsarbeit aufgrund der Erfolge in der Vergangenheit weiterhin beibehalten.
Jetzt kommt Wikipedia ins Spiel
Unterstellen wir, dass Wikipedia-Moderatoren intensive Nutzer von Social-Media sind. Nehmen wir an, dass sie über ein eigenes Profil bei Facebook verfügen, bei MySpace aktiv sind, ihr Leben über Twitter kommunizieren und stark in der Blogosphäre verwurzelt sind. Was denkt ihr, welchem Unternehmen wird es wohl leichter fallen, diese Wikipedia-Moderatoren von einem positiven Image und damit auch von einem positiven Eintrag in der Online-Enzyklopädie zu überzeugen, Unternehmen A oder Unternehmen F? Und welches Unternehmen wird diese Wikipedia-Moderatoren wohl eher davon überzeugen können, dass es über ausreichende Relevanz verfügt und deswegen auch einen eigenen Wikipedia-Eintrag verdient hat, Unternehmen E oder Unternehmen N? Und welche dieser Unternehmen werden sich wohl auf mittelfristige und insbesondere auf langfristige Sicht – wenn die junge Generation ein paar Jahre älter ist und das Internet eine noch größere Rolle spielt – welchen Platz in der öffentlichen Wahrnehmung sichern können?
Worauf ich hinaus will: Auch wenn PR in seiner traditionellen Form erfolgreich gewesen sein mag, so erfordert es im Internet-Zeitalter neuer Wege und Ansätze. Gab es früher eine Intereffikation zwischen PR und Journalismus, so geht der Trend im Netz hin zu einem scheinbaren Wechselspiel zwischen Unternehmen und Konsumenten. Natürlich werden auch weiterhin PR und Journalismus (in welcher Form auch immer) dazwischen geschaltet sein und vermitteln. Sie werden allerdings beide ihr Gesicht ändern. Nicht abwegig, wenn man Social-Media als moderne Form von PR und die Blogger und Wikipedia-Moderatoren als moderne Form des Journalismus begreift. Diese Annahmen jedoch erfordern neue Vorgehens- und Verhaltensweisen, sowohl vom traditionellen PR-Agenten, als auch von den Unternehmen sowie von den traditionellen Journalisten!
Kommentare:
Volker Davids
13. Juli 2009 at 22:20
Sehr schöne Überlegung. Ich bin mir allerdings nicht ganz sicher, ob das Prinzip nicht das gleiche bleibt.
Facebook beispielsweise ist nur eine digitale Plakatwand, die von Unternehmen F für seine „Werbung“ gebucht wird. Twitter ist ein Presseverteiler, die Pressemeldungen sind anders getextet, doch auch die Ansage „Unternehmen F trifft sich jetzt zum Frühsport“ ist letztendlich nur ein PR-Text.
Ich frage mich, ob Form und Ansätze wirklich neu sein werden, ob die vermeintliche Transparenz und die „Möglichkeiten“ der „Bürger-Journalisten“ (Blogger) eigentlich mehr verschleiern, als „aufdecken“ – weil PR vermeintlich sozialer geworden zu sein scheint.
Chris
16. Juli 2009 at 10:44
@Volker Ich glaube, was du da sagst, ist genau das Problem das alt eingesessene Markting und PR Agenturen haben. Der Gedanke das Twitter, Facebook etc. kurz Social Media nur wieder ein neues Medium sind um den Nutzer Werbebotschaften aufzudrücken funktioniert so nicht! Aber bis das auch der letzte bei den Agenturen erkannt hat werden sich noch einige Unternehmen den Ruf in der „Soziale Ecke“ des Internetzs ruinieren. Es bleibt spannend!