Ja, wie gesagt, sind wir gerade mitten in der redaktionellen Vorbereitungsphase unserer Live-Sendung. Sendetermin ist der kommende Mittwoch, ab 21 Uhr.
Nun habe ich auch etwas recherchiert und bin dabei auf eine Studie [1] gestoßen, die auf mich ziemlich schockierend wirkt.
Auf der Homepage der Thüringer Landeszeitung (TLZ) hieß es unter der Überschrift: „Nach wie vor Skepsis gegen Fremde“ [2], dass „Fremdenfeindliche Tendenzen im Freistaat ungebrochen“ seien. Und auch bei der Thüringer Allgemeinen fand ich einen entsprechenden Artikel. Hier hieß es nun „Bedenkliche Entwicklung“ [3].
Beide Artikel beriefen sich auf die Ergebnisse einer Studie, die regelmäßig in Thüringen durchgeführt wird. Im Auftrag der Thüringer Landesregierung führt Infratest dimap einmal im Jahr eine repräsentative Telefonbefragung unter 1000 wahlberechtigten Thüringern durch [2], um die „politische Kultur im Freistaat Thüringen“ zu untersuchen.
Primär wird die Einstellung der Menschen rund um den Einigungsprozess untersucht. Wie sehen die Thüringer die Einheit und was empfinden sie bei diesem Thema? Dazu wird auch das Demokratieverständnis unter die Lupe genommen. Wie sind die Menschen gegenüber demokratischen Grundwerten eingestellt? Zur Abrundung gibt es auch einen Teil, der sich der Fremdenfeindlichkeit der Thüringer widmet. Wie sehr sind rechtsextremistische Einstellungen und Fremdenfeindlichkeit verbreitet? Was denken die Menschen über Ausländer und was über die NS-Zeit.
Und „bedenklich“ ist angesichts der Ergebnisse, die diese Studie hervorbrachte wirklich mehr als untertrieben. Denn was in dieser Untersuchung zu Tage kommt ist Besorgniserregend. Mehr noch, es ist erschreckend. Schockierend!
Im ersten Teil der Studie wird gefragt, wie sich die Thüringer als Ostdeutsche von den Westdeutschen behandelt fühlen. Dabei stellt sich raus, dass sich ein großer Teil vom Westen diskriminiert fühlt. Interessant dabei ist ein Abschnitt auf Seite 25, wo es heißt:
„So fühlt sich von den Befragten, die wöchentlich mit Westdeutschen zu tun
haben, nur eine Minderheit diskriminiert. Hingegen gilt dies für fast drei Viertel derjenigen,
die Bürger der alten Bundesrepublik nur aus den Medien oder aus Erzählungen Dritter kennen. Für die Wahrnehmung der Westdeutschen in Thüringen bestätigt sich damit
scheinbar die in der Vorurteilsforschung diskutierte Kontakthypothese. Danach verbessert
sich die Einstellung gegenüber Fremdgruppen mit steigender Kontakthäufigkeit.“
Interessant ist, dass gerade diejenigen Thüringer sich schlecht behandelt fühlen, die keinen Kontakt zu Westdeutschen haben. Ebenso spannend ist der Verweis auf die Kontakthypothese. Könnt ihr euch noch an meinen Artikel vom 23. August 2005: Damals habe ich unter der Überschrift “Lernen von anderen Kulturen – Bunte Vielfalt in Deutschland“ die Schizophrenie der Fremdenfeindlichkeit in Ostdeutschland behandelt. Wenig Ausländer, viel Rechte Gewalt. Damals habe ich die These aufgestellt, dass der fehlende Kontakt zwischen den verschiedenen Kulturen mit daran verantwortlich sein könnte. Zu diesem Zeit Punkt hatte ich von der Kontakthypothese noch nichts gehört.
Weiter zum Monitor-2005:
Erschreckend ist, die Untersuchung nach dem Demokratieverständnis der Bevölkerung Thüringens. Auf Seite 59 heißt es:
„…hat sich der Anteil der Antidemokraten seit dem Jahr 2001 etwa
verdoppelt, verbleibt aber mit nunmehr knapp neun Prozent weiterhin auf einem niedrigen
Niveau. Zusammen mit der Gruppe der Nichtdemokraten ergibt sich ein gutes Fünftel der
Befragten, das der demokratischen Werteordnung ablehnend gegenübersteht.“
Na ja, ob 9% Antidemokraten ein niedriger Wert ist bleibt wohl eher relativ gesehen. Kann man drüber streiten. Was ich aber alles andere als niedrig finde ist der Gesamtwert von gut einem Fünftel, der dem demokratischen ablehnende gegenübersteht. Das sind mehr als 20%! Was ich mich Frage: Wünschen sich die Menschen „die guten alten DDR-Zeiten“ zurück, weil sie der Meinung sind, dass die damalige Zeit einfach besser war oder aber lehnen sie die Demokratie als Staats- & Werteform grundsätzlich ab?
Meiner Einschätzung nach ist diese Unzufriedenheit eher woanders zu suchen:
„Wie die Demokratiezufriedenheit ist in diesem Jahr auch das Vertrauen in die politiknahen
Institutionen zurückgegangen.“ (Seite 63)
Ich vermute, dass dies ein ausschlaggebender Punkt ist. Ich kann mir nicht vorstellen, dass so viele Menschen die Demokratie gegen eine andere Staatsform eintauschen möchte. Eher sehe ich den Frust über die momentane Konjunkturschwäche und die schleppende Politik als Ursache, dass sich die Menschen nach anderen „Lösungen“ sehnen bzw. ihren Unmut Luft verschaffen.
Die politische Einstellung wurde aber noch weiter untersucht. Diesmal in Bezug auf Fremdenfeindlichkeit & rechtsextremistische Einstellungen. So wurden 10 Fragen gestellt,
„die sechs Dimensionen des Syndroms erfassen: Ausländerfeindlichkeit, Sozialdarwinismus, überstarken Nationalismus (Chauvinismus), Antisemitismus, die Unterstützung einer rechten Diktatur und die Verharmlosung des nationalsozialistischen Regimes“ (Seite 63)
Und besonders hier kommen zutiefst schockierende Ergebnisse zutage:
„Bei der diesjährigen Befragung hat vor allem die rassistische Dimension der Ausländerfeindlichkeit, die Aussage zur gefährlichen Überfremdung durch Ausländer also, erneut deutlich an Zustimmung gewonnen. Sie wird mittlerweile von 60 Prozent der Thüringer bejaht.“ (Seite 63)
Und weiter heißt es,
„dass beispielsweise Befragte mit ausländerfeindlichen
Einstellungen mit hoher Wahrscheinlichkeit zugleich überproportional starke nationalistische
und antisemitische Orientierungen haben“ (Seite 63)
Wie ich ja in meinem vorher schon mal zitierten Artikel geschrieben habe, ist die hohe Fremdenfeindlichkeit besonders durch die geringe Ausländeranzahl in Thüringen widersprüchlich. Und auch in der Studie wird dieser Sachverhalt festgehalten:
„Überfremdungsängste vor dem Hintergrund eines Ausländeranteils im Freistaat von etwa zwei Prozent“ (Seite 68)
Beunruhigend ist nicht nur, dass die Ausländerfeindlichkeit gestiegen ist, sondern, auf welchem Niveau sie sich befindet:
„Wie bei der sozioökonomisch motivierten Ausländerfeindlichkeit ist die Zustimmung innerhalb der vergangenen fünf Jahre von einem hohen Ausgangsniveau nochmals um 20 Prozent oder zehn Prozentpunkte gestiegen.“
Nicht „nur“ Ausländern an sich stehen die Thüringer erschreckend ablehnend gegenüber. Auch Lebensgemeinschaften zwischen Menschen aus Deutschland und anderen Nationen genießen relativ hohe Ablehnungswerte:
„Lediglich ein gutes Fünftel der Befragten war 2005 noch der Meinung, dass Ausländer nur untereinander heiraten sollten.“
Also, dass die Studie hier das Wort „lediglich“ verwendet finde ich mehr als unangebracht. Sind etwa 20% Ablehnung wenig? Nicht dass so viele Menschen „nur“ skeptisch gegenüber „Vielfalts-Ehen“ (finde ich persönlich ein schöneres Wort als „Mischehen“; Vielfalt ist doch ein positives Wort!) sind. Nein, 20% sind der Meinung, dass Ausländer nur untereinander heiraten sollten. Sagt mal, wo leben wir denn eigentlich? Ach ja, in Deutschland!
Auf Seite 69 werden dann einige Fragen und die Antworten in Prozent angegeben. Schaut euch die Ergebnisse an. Nein, ich habe mich nicht verschrieben, die genannten zahlen habe ich aus dem Dokument zur Studie! [1]
„Die Bundesrepublik ist durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maße überfremdet.“
60%
„Die Ausländer kommen nur hierher, um unseren Sozialstaat auszunutzen.“
58%
„Ausländer sollten grundsätzlich ihre Ehepartner unter den eigenen Landsleuten auswählen.“
21%
„Der Nationalsozialismus hatte auch seine guten Seiten.“
20%
„Die Juden haben einfach etwas Besonderes und Eigentümliches an sich und passen nicht so recht zu uns.“
14%
Also so mittlerweile komme ich mir ganz schön komisch vor. Sagt mal, wo bin ich hier eigentlich gelandet? Wen haben die Leute von Infratest dimap befragt? Sollen das wirklich die Antwortend der Thüringer Bevölkerung sein. Ist das Repräsentativ?
Na ja, so wie es scheint: Ja!
Dabei habe ich die Thüringer bisher als ein wirklich aufgeschlossenes und tolerantes Völkchen kennen gelernt. Aber ich kenne natürlich auch nur einen kleinen Teil.
Die Ergebnisse zusammengenommen
„ergibt sich für das Jahr 2005 ein Anteil von 22 Prozent rechtsextrem Eingestellten.“ (Seite 70)
Der Hammer, was?! 22% der Thüringer sind nach dieser Studie rechtsextrem eingestellt. Das ist fast ein Viertel der hiesigen Bevölkerung. Gut, man kann sagen: die große Mehrheit ist nicht rechtsextrem eingestellt und dies sollte man auch nicht vergessen. Aber dennoch ist dies ein erschreckendes, ein schockierendes Ergebnis!
Woran kann das liegen? Daran – wie ich schon mal gemutmaßt habe – dass es wenig Kontakt zwischen Deutschen und Ausländern gibt?
Ein Aspekt scheint zumindest die hohe Arbeitslosigkeit im Osten zu sein. So heißt es auf Seite 71:
„entsprechende Orientierungen unter den Erwerbslosen weitaus stärker verbreitet als bei Befragten, die ganztägig einer Arbeit nachgehen … 42 Prozent der Arbeitslosen nach der oben erläuterten Definition als Rechtsextreme gelten müssen – im Vergleich zu 16 Prozent unter den Thüringern, die ganztägig eine Erwerbstätigkeit ausüben.“
Das wäre zumindest eine Erklärung. Nach dem Motto: „Ich kenne in meinem Freundeskreis nur Deutsche und davon sind viele Arbeitslos. Im Fernsehen höre ich aber von vielen Ausländern, die eine Arbeitsstelle haben.“. Ja nee, is` klar. „Dönerbuden für Deutsche!“
Weiter geht es in der Studie Monitor-2005: Infratest dimap kommt zu dem Ergebnis, dass ein großer Zusammenhang zwischen DDR-Sicht & Fremdenfeindlichkeit besteht:
„kontinuierlich starker und höchst signifikanter Zusammenhang zwischen einem positiven DDR-Bild und dem Wunsch nach einer Rückkehr zur sozialistischen Ordnung mit dem Rechtsextremismus. Entgegen dem antifaschistischen Selbstverständnis des einstigen „Arbeiter- und Bauernstaats“ ist dieser Zusammenhang positiv.“ (Seite 72)
Soviel zum Thema „antifaschistischer Schutzwall“ und der Überzeugung, dass es in der DDR keine rechtextreme Gesinnung gab
„Bewertung der deutschen Einheit … Befragte, die mehr Vor- als Nachteile sehen, neigen ausländerfeindlichen, nationalistischen und rassistischen Positionen sehr viel weniger zu als Befragte, bei denen das Urteil umgekehrt ausfällt.“ (Seite 73)
Auch wenn die Studie auf Seite 74 zu dem Ergebnis kommt, dass
„Rechtsextreme Einstellungen in Thüringen als Ergebnis enttäuschter Hoffnungen interpretiert werden können.“
Sehe ich darin keine wirklich überzeugende Erklärung. Ist es wirklich der Ernst vieler Thüringer aus Frust über die eigene Situation Menschen aus anderen Nationen abzulehnen? Das kann doch keine Berechtigung sein. Und erst recht keine Legitimation! Wieso verdammt noch mal, muss man den Frust an anderen Menschen auslassen? Wieso eigenes Versagen und eigene Schwächen auf Ausländer projizieren?
Also ich bin der Meinung, dass hier ein enormer Aufklärungsbedarf besteht. Man muss den Menschen klar machen, dass niemand anderes, vor allem nicht eine bestimmte Gruppe, für die eigene Situation verantwortlich ist. Menschen aus anderen Nationen sind genauso Menschen wie Deutsche; sie haben dieselben Rechte und das Anrecht auf Toleranz. Mensch Thüringer wacht auf! Und nebenbei: ohne Ausländer würde Deutschland nicht funktionieren!
Die Studie Monitor-2005 schließt mit dem Fazit ab, dass eine
„besorgniserregende Häufigkeit rechtsextremer und besonders ausländerfeindlicher Einstellungen vorherrscht; letztere haben 2005 Zustimmungswerte von bis zu 60 Prozent erhalten.“ (Seite 82-83)
Ich hoffe inständig, dass sich dieses Ergebnis in den kommenden Jahren wieder wendet. Es kann doch nicht sein, dass hier 60% als ausländerfeindlich zu gelten haben.
Was kann man dagegen tun? Ich bin immer noch der Überzeugung, dass ein intensiverer Kontakt zwischen verschiedenen Nationalitäten helfen kann und Vorurteile abbaut. Wenn Deutsche und Ausländer sich alltäglich begegnen, sich kennen lernen und sich anfreunden, ja, dann werden auch die Thüringer merken, dass jeder Mensch, ob aus Europa, aus Asien, aus Afrika, aus Australien oder aus Amerika gleich ist. Nicht umsonst spricht man von der Weltbevölkerung. Ein Volk, welches auf der ganzen Welt lebt – und jeder einzelne ist Teil davon, gleich welcher Hautfarbe oder Nationalität!
bluejax
Erfurt, den 14. November 2005
Quellen:
[1] Thüringen Monitor 2005, „Politische Kultur im Freistaat Thüringen“
http://www.thueringen.de/imperia/md/content/homepage /th_ringen_monitor_2005_endfassung.pdf
[2] TLZ, „Nach wie vor Skepsis gegen Fremde“
„Fremdenfeindliche Tendenzen im Freistaat sind ungebrochen“
http://www.tlz.de/tlz/tlz.onlinesuche.volltext.php?zulieferer= tlz&redaktion=redaktion&dateiname=dateiname&kennung= on2tlzTHUThuNational38665&catchline=catchline&kategorie =kategorie&rubrik=Thueringen®ion=National&bildid=& searchstring=monitor&dbserver=1&dbosserver=1&other=
[3] Thüringer Allgemeine, „Bedenkliche Entwicklung“
http://www.thueringer-allgemeine.de/ta/ta.onlinesuche.
volltext.php?zulieferer=ta&redaktion=redaktion& dateiname=dateiname&kennung=on2taPOLPolNational 38665&catchline=catchline&kategorie=kategorie&rubrik =Politik®ion=National&bildid=&searchstring= monitor&dbserver=1&dbosserver=1&other=
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Erstveröffentlichung bei www.myblog.de/bluejax: 14.11.05 19:36
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Von www.myblog.de/bluejax übernommene Kommentare:
1. Partisan* / Website (17.11.05 17:18)
„Sag ich doch! Die Zone ist ein Jammertal, selbst Freiheit, Demokratie und Aldi-Schnaps schaffen es nicht aus diesen Höllenbewohnern endlich vernunftbegabte Menschen zu machen… Peeee*“
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