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Thema Integration: Meine Erfahrungen, meine Meinung, eine ausländerfeindliche Bild-Zeitung und ein Lob an C.C. Malzahn

Ich habe es mir lange angeschaut und die Berichterstattung in den verschiedenen Medien beobachtet. Aber jetzt muss ich doch auch selber mal meine Sicht der Dinge zum Thema Integration mitteilen!

Die Verantwortung der Presse – und was sie daraus macht!

Seit einigen Monaten schwelt immer wieder Aufruhr in Frankreich, der mit Immigranten und der Integrationspolitik in Zusammenhang gebracht wird.

Und spätestens seit die Lehrer einer Hauptschule in Berlin in der vergangenen Woche wegen ausufernder Gewalt die Auflösung der Schule empfahlen, haben wir die Themen Integration und Immigration auch hier in Deutschland auf den Titelseiten aller Zeitungen. Denn diese Hauptschule liegt in einem Berliner Stadtteil mit hoher Ausländerquote und dementsprechend ist auch der Teil der Schüler, die aus dem Ausland stammen sehr hoch.

Der rechte Flügel lebt

Und konservative Hardliner wie politicallyincorrect und der Cowboy aus München nehmen solche Ereignisse natürlich gerne zum Anlass, um die Keule zu schwingen. Leider merken sie dabei gar nicht, dass das Thema Integration ein sehr kompliziertes Thema ist und die Schuldigen sind nicht die Ausländer – oder wie politicallyincorrect ausdrücklich in ihrer Überschrift hinweist die „arabische Gewalt“ – nein, die Schuld können wir getrost bei uns suchen. Bei unseren von uns gewählten Volksvertretern, aber auch bei jedem Einzelnen von uns!

Malzahn`s Aussbruch – Rückblick

In diesem Zusammenhang muss ich sogar einen Mann loben, den ich im letzten Jahr scharf kritisiert hatte. Am 31. August 2005 veröffentlichte ich den Artikel
„Malzahn`s Ausbruch: Undankbares Pack – die vergesslichen Deutschen“
, in dem ich mich sehr über einen Artikel des Spiegel-Journalisten aufrege, weil er sich so undifferenziert über die mangelnde deutsche Spendenbereitschaft für die Opfer von New Orleans erzürnte.

Gut, vergessen und vergeben, heute muss ich wieder mal einen Artikel von ihm zitieren, den ich gestern bei Spiegel-Online gefunden habe. „Integrationsdebatte – Wie die Konservativen die zweite deutsche Einheit verspielen“ heißt der Artikel und wie ihr sicherlich ahnt, geht es um das Thema dieser Woche schlechthin: Integration!

Bild springt falsch

Doch zuvor muss ich noch einen kleinen Exkurs auf die Seiten einer anderen großen Zeitung machen. Im Grunde genommen ist es sogar die größte Deutsche Zeitung. Zumindest was die Verkaufszahlen angeht. Ja, genau, es geht um die Bild-Zeitung.

Dort fand man nämlich gestern auf der Homepage – und scheinbar auch auf der Titelseite der Printausgabe – eine große Schlagzeile: „Deutschlands klügster Kopf redet Klartext: Das läuft mit den Ausländern falsch“.

Als ich diesen Reißer sah – und das Wort „Reißer“ passt hier sowas von gut – dachte ich, ich hätte mich auf der Seite vertan. „Was läuft mit den Ausländern falsch“? Ich weiß ja echt nicht, was die Bild-Chefredaktion mit dieser Frage ausdrücken wollte, aber es ist doch schon erschreckend, dass man hier von einem „Problem Ausländer“ spricht, oder?! Klar, Bild, Springer-Presse, undifferenziert. Aber solch ungehaltenes Vorgehen?

Außen pfui, innen pfui!

In dem Artikel dann ein Interview mit dem Historiker Prof. Arnulf Baring. Und gleich zu Beginn stellt Bild folgende Frage:

Gewaltverbrechen, Asyl- und Sozialabzocke, Drogenkriminalität oder Ausschreitungen an Schulen: Die Ausländer-Politik ist in den Schlagzeilen. Und viele Deutsche fragen sich: Sind wir nur noch die Dummen?“

Hallo? Nochmal ganz kurz der Hinweis: Es handelt sich hier um die Zeitung, die jeden Tag deutschlandweit am meisten ver- bzw. gekauft wird. Und dann solch eine Frage?! Tut mir Leid, aber wie man hier versucht, Ausländer als böse Menschen darzustellen, ist doch wirklich sehr erschreckend.

Abzocker, Kriminelle, Drogendealer, Schläger – das ist also das Bild, welches die Erben Axel Springers heute von unseren ausländischen Mitbürgern haben. Traurig und beängstigend!

Was aber Antwortet der Historiker Baring auf diese unverschämte Frage?

Die Vorgänge an der Rütli-Schule zeigen, dass die außerordentlich freundliche Aufnahme- und Zuzugspraxis ein Fehler war. Wenn in Deutschland lebende Ausländer oder deren Kinder für ihr Gastland nur noch Verachtung äußern und Deutsche als „Hurentöchter“ oder „Schweinefleischfresser“ beschimpfen, ist eines klar:

Multi-Kulti ist gescheitert – weil die Ausländer die deutsche Kultur neben ihrer eigenen nicht akzeptieren oder auch nur dulden wollen. Das war allerdings schon seit Jahren abzusehen, wurde aber bewusst verschwiegen und kleingeredet. (…)

Die „außerordentlich freundliche Aufnahmepraxis“ war also ein Fehler. Ausländer verachten Deutschland und beschimpfen sie und akzeptieren die Deutsche Kultur nicht. Aha, alles klar. Nein nichts ist klar!

Rassismus light?!

Bumms, Baring macht genau da weiter, wo die Bild schon im Titel angefangen hat. Wüsste man nicht ganz genau, dass man sich auf der Seite der Bild-Zeitung befinden würde, man könnte glauben, dass man sich auf die Seite eines NPD-Blattes verirrt hat. Doch nein, es ist wirklich die Zeitung mit den nackten Frauen auf Seite Eins!

Im Folgenden versucht Arnulf Baring zwar auch wieder weg zu kommen von seinen scharfen Worten zu Beginn, aber wirklich schaffen tut er es nicht. Dieser Artikel der Bild-Zeitung ist typisch für die Sensationspresse: Pseudo-Professionell, da versucht wird, den Eindruck zu erwecken, dass die Zeitung und angebliche Experten sachlich über ein politisches Thema reden. Und reißerisch. Denn solche Sätze wie die oben zitierten dienen nur dazu Ängste zu schüren und Vorurteile aufzubauen.

Da haben sich die Damen und Herren der Bild-Zeitung wohl zu viel von den ebenso radikalen wie konservativen Leuten von politicallyincorrect abgeschaut. Scharfmacher unter sich!

Danke BildBlog!

Aber das war es ja nicht mal. Denn zum Glück haben wir in Deutschland ein Bild-Zeitung-Kontrollorgan! BildBlog berichtet tagtäglich über alle möglichen Fehlleistungen und Falschaussagen, die die Bildzeitung jeden Tag auf`s Neue unter das Volk bringt. Und wer einen Blick auf Bildblog.de wirft, der wird sehr schnell feststellen, dass man dort viel zu tun hat!

Gestern erschien dort der Artikel „Die klare Sprache von „Bild““ von „Clarissa“. In dem Artikel wird auch auf den Spiegel-Artikel von Claus Christian Malzahn hingewiesen. Aber noch viel interessanter sind zwei andere Artikel, auf die Bildblog verweist:

Ein Historiker auf Abwegen

So etwa auf den SpOn-Artikel „Rechtsnationale Veranstaltung – Baring fühlt sich hinters Licht geführt“ von Daniel Haas, erschienen am 29. März 2006.

Denn Barings Worte in der Bild-Zeitung erscheinen in einem noch viel dunkleren Licht, liest man sich diesen Artikel genau durch. Berichtet wird hier von einem Vortrag den Arnulf Baring für einen „Verein zur Förderung einer Schule im ostpreußischen Trakehnen“ hielt.

„Es lebe die Republik! Es lebe Deutschland“, sollte der Vortrag heißen, der Referent wird in der Einladungsbroschüre als „populärer Wissenschaftler“ angepriesen, dem es „stets um die Vermittlung positiver Werte für die Deutschen“ gehe.

Ja, die Anzeichen verdichten sich, hier geht es nicht um eine ehrenamtliche Sache zugunsten einer Schule.

Richtig interessant wird es im Folgenden:

Dass der 1992 in Husum gegründete Verein von der Bundesregierung als rechtsextrem eingestuft wird, wusste Baring ebenso wenig, wie dass auch der Kieler Buchdienst „Lesen & Schenken“ zu dem Vortrag einlud. „Lesen & Schenken“ gehört zum Unternehmen von Dietmar Munier, dessen Verlagsgruppe ebenfalls als rechsextrem gilt. Von der politischen Gesinnung seiner Gastgeber erfuhr Baring erst von der Nachrichtenredaktion des „Stern“. Das Hamburger Nachrichtenmagazin berichtet in seiner morgigen Ausgabe von Barings Verpflichtung durch die Rechtsextremen.

Schaf oder Wolf – oder beides?

Baring zeigt sich im weiteren Verlauf des Artikels schockiert: “Ich fühle mich hinters Licht geführt“, so seine Erklärung gegenüber SpiegelOnline. Angeblich hat man ihm nur einen Teil des gesamten Programms präsentiert.

„Hätte ich das ganze Spektrum gesehen, hätte ich nicht zugesagt“ so Arnulf Baring weiter. So zog er dann auch die Konsequenzen und sagte seinen Auftritt ab.

Mag sein, dass man den Historiker Arnulf Barning hier gelockt hatte und er wirklich nicht wusste, auf was für einer Veranstaltung er auftreten sollte. Dennoch: ein fader Nachgeschmack bleibt!

Nachschlag? Könnt ihr haben!

Mindestens genauso interessant ist der zweite Artikel, auf den BildBlog und Clarissa hinweisen: “Zündeln im ZDF“ schrieb Bettina Gaus auf der Homepage der „tageszeitung“ (taz) am 27.11.2003.

Im Lead dann heißt es:

Im „Nachtstudio“ schwärmte der Historiker Arnulf Baring ungebremst vom „Elan“ des Adolf Hitler. (…)

Es geht um eine Sendung, die das ZDF Anfang November 2003 ausstrahlte. Damals war Herr Baring im „Nachtstudio“ zu Gast und Seinerzeit

lobte der 71-jährige Zeithistoriker (…) den „Enthusiasmus“, den Adolf Hitler für sein Regime seinerzeit in der Bevölkerung wecken konnte: Wenn auch nur „ein Bruchteil“ dessen für die Bundesrepublik mobilisiert werden könnte, „wären wir aus allen Schwierigkeiten raus“

Was bleibt sind Zweifel an der Person Baring

Nochmals: Bumms, Baring hat gesprochen. Und wieder mal gilt: Egal, wie auch immer diese Worte gemeint waren, es scheint sich ein Gesamtbild des guten Mannes zu ergeben, indem jede Aussagen, jeder Auftritt wie ein einzelnes Puzzle-Stück zusammengefügt wird und einen Menschen zeigen, der zumindest doch sehr kritisch zu beurteilen ist!

Und das ist also jener Mann, den die Bild-Zeitung als „Deutschlands klügsten Kopf“ vorstellt. Also, wenn das unser klügster Kopf sein soll, dann scheint es wirklich sehr schlecht um dieses Land zu stehen.

Aber zum Glück weiß man ja, dass man der Bild-Zeitung nicht immer alles glauben sollte!

Zurück zu SpON und C.C.M.

So, und jetzt kommen wir zu unserem Freund Claus Christian Malzahn. Wie gesagt erschien gestern bei SpiegelOnline der Artikel „Integrationsdebatte – Wie die Konservativen die zweite deutsche Einheit verspielen“. Und wen Malzahn mit den Konservativen meint, sagt er gleich zu Beginn:

So berichtet er von einem Artikel, der heute in der “Zeitung mit den ganz dicken Balken über dem Bruch“ erschienen ist. Richtig, es handelt sich um das auch von mir kritisierte Interview mit Arnulf Baring.

Im Lead schon stellt Malzahn die berechtigte Frage:

Wollen die Deutschen jetzt 6,7 Millionen Ausländer rausschmeißen?

Denn genau diesen Eindruck hat man so langsam, schaut man sich in hiesigen Zeitungen und Weblogs um. Besonders die Konservativen schießen scharf.

Gespielte Aufregung

Wie gesagt, Integration ist ein kompliziertes Thema. Und eben weil es so komplex ist, wurde es lange Zeit nicht angegangen. Umso erstaunlicher, dass momentan genau diejenigen am lautesten Schreien, die sich über so lange Zeit nicht verantwortlich fühlten.

Und auch C.C. Malzahn sieht die Zeit gekommen „mit ein paar Mythen aufzuräumen“:

Weder Rot-Grün oder die naiven Multikulti-Befürworter tragen die Hauptschuld an der jetzigen Integrationsmisere. Der Mann heißt Helmut Kohl. Einwanderungspolitik hat diesen Kanzler, der das Land immerhin von 1982 bis 1998 regierte, trotz türkischer Schwiegertochter nicht interessiert. Eisern wurde am deutschen Blutrecht festgehalten, Einwanderung wurde nicht gesteuert, sondern entwickelte sich anarchisch über das Asylrecht oder den Nachzug von Gastarbeiter-Familien. Für in Deutschland lebende ausländische Kinder galt damals nicht einmal grundsätzlich die Schulpflicht – wer nur „geduldet“ wurde, brauchte ja nicht Lesen und Schreiben zu lernen.

Das greift genau das auf, was ich auch schon seit längerer Zeit immer wieder sage: Die „Probleme“ sind nicht erst in den letzten 7 Jahren entstanden, sondern haben sich in den vergangenen 20 Jahren entwickelt. Eben weil man es nicht für nötig hielt, etwas für Immigranten und ausländische Mitbürger zu tun.

Und die Schuld jetzt bei Rot-Grün oder aber – was noch viel schlimmer und falscher ist – bei den Ausländern zu suchen, ist total daneben. Ganz im Gegenteil, wie ich bereits sagte, für die Integration sind wir alle mit verantwortlich. Nicht nur mit unserer Stimme bei Kommunal-, Landtags- und Bundestagswahlen. Nein auch unser Handeln ist Teil davon!

Eigene Erfahrungen mit Migranten und der Politik

Nach meinem Abitur am Wirtschaftsgymnasium in Tübingen habe ich von September 2002 bis Juli 2003 meinen Zivildienst in Rottenburg am Neckar abgeleistet. Ich war damals vormittags in der Rottenburger Grundschulförderklasse (Vorschule) und nachmittags im Jugendhaus Klause angestellt.

Und während meiner Zeit dort habe ich mitbekommen, was es heißt als Migrant in Deutschland zu leben. Und wie die deutschen Behörden mit diesen Menschen umgehen!

Das Jugendhaus Klause hat jeden Tag von Mittags um etwa 14.30 Uhr bis in die (teilweise späten) Abendstunden den Offenen Betrieb geöffnet. Und Hauptbesucher sind Kinder und Jugendliche aus Familien, die aus der Türkei, Albanien oder Russland zugezogen sind.

Ich weiß noch wie ich früher, lange vor meiner Zeit im Jugendhaus, des Öfteren von Vorfällen in Rottenburg mitbekommen hatte, in denen es um Überfälle ausländischer Jugendliche ging.

Eine Knarre am Kopf!

Und auch ich bin einige Male mit solchen Jugendlichen aneinander geraten. Einmal sogar hatte ich eine Pistole an der Schläfe. Mitten auf dem Rottenburger Marktplatz. Es hat übrigens kein einziger Passant eingegriffen. Soviel zum Thema Zivilcourage!

Aber dennoch, ich hatte nie etwas gegen Ausländer auch nicht gegen die, die mich überfielen. Ganz im Gegenteil, ich bekam, nachdem die Polizei eingeschaltet wurde, eine ehrlich-gemeinte Entschuldigung. Das reichte mir. Ich verstand mich danach sogar mit den Jungs. Einer von ihnen wurde sogar einer meiner besten Freunde (gell, Markus 😉 )!

Und auch sonst muss man sagen, dass Rottenburg nie ein großes Problem mit Rechtsextremismus oder Rassismus hatte oder hat. Zumindest nicht in der Stadt. Draußen auf den kleinen Dörfern sah das manchmal schon anders aus. Da gab es die eine oder andere Glatze, die meisten sind und waren Mitläufer.

Bunte Vielfalt

Aber in der Stadt selber merkte man gar nichts davon. Im Gegenteil, dort sieht man, dass Integration funktionieren kann. Geht man durch die Stadt, trifft man allerorten Türken, Italiener, Griechen oder Albaner. Es ist manchmal wie im Urlaub: Dort alte Männer aus dem Süden, die gemeinsam Boulen, dort die italienischen Großeltern, die auf der Bank vor dem Haus sitzen und die Straßen und Menschen beobachten.

Natürlich, es mutet an wie ein Widerspruch: Zum einen erzähle ich von Jugendlichen, die in der Stadt kriminell auffallen und zum anderen rede ich davon, dass alles Gut ist. Ja was denn nun?

Und genau hier komme ich auf meine Erfahrungen, die ich damals im Jugendhaus Klause gesammelt habe.

Das Jugendhaus als zweite Heimat

Wie gesagt, der allergrößte Teil der Besucher waren Kinder von Eltern, die vor wenigen Jahren oder schon vor vielen Jahrzehnten nach Deutschland gezogen sind. Und alle Kiddies und Jugendlichen sind super nett und ganz normale Jugendliche.

Das Jugendhaus dient als Anlaufspunkt, ist Freizeit- und Kommunikations-Mittelpunkt vieler. Hier können die Mädels und Jungs spielen, reden oder was auch immer machen. Natürlich gibt es Regeln. Regeln, die auch von den meisten eingehalten werden.

Warum es viele Jugendlichen jeden Tag auf`s Neue in das Jugendhaus Klause zog, erfuhr ich erst nach einiger Zeit.

Direkt neben dem Jugendhaus ist ein großes Haus, in dem viele Familien von Russland-Deutschen wohnen. Aber unter welchen Voraussetzungen und in welchen Zuständen.

Leben auf engstem Raum

Hatten die meisten von uns in ihrer Jugend ein eigenes Zimmer, in das sie sich zurückziehen konnten, so leben dort ganze Familien in solchen Räumen. Privatsphäre oder Ruhe kann man vergessen.

Wenn also die Mädels und Jungs mittags nach der Schule nach Hause kommen, geht es zwangsläufig wieder raus. Raus auf die Straße. Oder eben rüber ins Jugendhaus.

Was aber tun, wenn das Jugendhaus geschlossen ist? Was wenn kein Ort mehr da ist, wo sich die Jugendlich miteinander zurückziehen können. Wo kuscheln, kichern, kommunizieren?

Ja, dann geht es ab auf die Straße. Runter in die Stadt. Rumhängen und auf dumme Gedanken kommen.

Verantwortliche ohne Verantwortungsbewusstsein

Leider gab es seinerzeit in Rottenburg einige Verantwortliche, denen das Jugendhaus ein Dorn im Auge war. Natürlich, die sahen, dass es einige Jugendliche gab, die in der Stadt rum stänkerten. Sie sahen auch, dass viele dieser Jugendlichen jeden Tag ins Jugendhaus gingen. Aber eines taten sie nicht: sie sahen nicht den Zusammenhang.

Denn wie bereits erzählt, die Jugendlichen haben im Grunde genommen kein richtiges Zuhause. Zumindest nicht so eines, wie wir es kennen und wie es ein Jugendlicher auch benötigt. Kein eigenes Zimmer, keine Ruhe, keine Intimsphäre.

Und wenn dann irgendwelche Leute von der Stadt kommen und meinen zuallererst an den Freizeitmöglichkeiten der Jugendlichen sparen zu müssen, dann werden einige über kurz oder lang auf dumme Gedanken kommen.

Wer wird Schmied?

Begünstigt wird das ganze auch von einer Aussichtslosigkeit, die viele sehen. Natürlich ist es einfach zu sagen „Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied“, aber ist es denn wirklich so? Seien wir ehrlich?! Kinder und Jugendliche aus ärmeren Familien haben einen Nachteil, das dürfen wir nicht wegreden. Ich weiß nicht, was aus mir geworden wäre, hätte ich in meiner Jugend so gelebt, wie es viele andere Jugendliche tun.

Wo soll man Hausaufgaben lernen, wenn man kein eigenes Zimmer hat? Wie soll man sich auf Schule und Karriere konzentrieren, wenn man andere Probleme hat? Wie soll man sich verständigen, wenn man angelacht wird, sobald man in gebrochenem Deutsch spricht?

Natürlich ist die deutsche Sprache ein wichtiger Teil dafür, sich zu integrieren. Natürlich ist es wichtig, sich verständigen zu können. Aber was ich für sinnlos halte ist, Sprachtests als Voraussetzung dafür zu fordern, um eine Aufenthaltserlaubnis in Deutschland zu erhalten.

Vertrauen schaffen – Deutschkurs in der Moschee

Vielmehr sollte man hier in Deutschland, in den Städten und Gemeinden regelmäßige Sprachkurse anbieten. Umsonst und in angenehmer Atmosphäre. Das muss dann auch nicht immer unbedingt in Schulen oder öffentlichen Gebäuden stattfinden.

Wieso müssen die Menschen immer die Initiative ergreifen? Wieso Druck ausüben und mit Sanktionen drohen? Vielmehr sollte die Sprache sich den Weg zu den Menschen suchen. Ich denke da etwa an Sprachkurse, die in Moscheen oder in den Räumen von kurdischen Vereinen stattfinden.

Vorurteile schaffen Misstrauen

Moschee, uhhh, alles nur Terroristen. Diesen Eindruck muss man gewinnen, schaut man sich in der deutschen Medienlandschaft um. Diesen Eindruck muss man gewinnen, liest man viele Weblogs hier im Internet. Diesen Eindruck muss man gewinnen, hört man viele Menschen sprechen.

Aber hallo, hat denn nur einer dieser Menschen schon einmal eine Moschee von innen gesehen? Wer mit Menschen aus anderen Nationen spricht, mit Menschen, die einen anderen Glauben haben, andere Götter, andere Rituale, der wird feststellen, dass es doch trotzdem Menschen sind, wie sie in unserer Stadt, in unserem Bekanntenkreis, in unserer Familie leben. Menschen wie du und ich!

Wieso dann also diese Panik-Macherei? Ängste schüren und Menschen diskriminieren, das ich das, was ein großer Teil der Deutschen heute macht. Da werden Dinge miteinander vermischt, die nichts miteinander zu tun haben. Völlig undifferenziert und unqualifiziert!

Konservative Angst

Ich denke da nur daran, wie man sich bei politicallyincorrect (übrigens Hand in Hand mit der NPD, die auf ihrer Homepage ähnliche Argumente und Texte veröffentlicht) über den Bau einer Moschee in Berlin aufgeregt hat. Was ist daran auszusetzen? Der Islam gehört heutzutage ebenso zu Deutschland, wie es das Christentum und die Atheisten tun. Wir leben in einer modernen Welt, dann lasst uns doch auch modern denken und handeln!

Natürlich, die Konservativen haben Angst. Sie wissen, dass das Christentum und die Kirche heute nicht mehr so eine große und einflussreiche Rolle spielen, wie noch vor wenigen Dekaden. Und jetzt haben sie auch ein Feindbild gefunden, dem sie die Schuld daran zu schieben können: Andersgläubigen, vorliebend Muslimen.

Ich finde dieses kalte Klima, das momentan in Deutschland vorherrscht erschreckend. Und destruktiv. Wovor müssen wir Angst haben und vor wem. Überhaupt, wer sind denn „Wir“?

Dass man jetzt die Berliner Hauptsschule als Paradebeispiel missbraucht, um auf die gewaltbereiten Ausländer hinzuweisen, halte ich für besonders schamlos. Wie ich oben schon geschrieben habe, darf man nicht den Fehler machen und jetzt versuchen Ausländern die Schuld zu geben. Nein!

Wie ich bereits erwähnte, man muss sich immer auch vor Augen halten, wie und unter welchen Umständen die Kinder und Jugendlichen leben, um die es hier geht.

Die Städte sind gefordert! – Mehr Freizeitangebote für die Jugend!

Lösungen? Ich denke auf jeden Fall, dass die Städte und Gemeinden jetzt endlich alle mal aufwachen sollten und begreifen müssen, dass sie selber den Arsch hoch kriegen müssen. Wie ich gesagt habe, wird sich vielerorts relativ wenig um die Kinder und Jugendlichen gekümmert.

Freizeitangebote sind Mangelware. Ich kann da immer nur auf die Stadt verweisen, in der ich meinen Zivildienst gemacht habe, Rottenburg am Neckar. Dort wird einfach zu wenig gemacht, um den Jugendlichen Mittags, Nachmittags und Abends ein interessantes Angebot zu machen.

Basketballkörbe? Müssen weg, weil sich Anwohner über den Lärm beschweren. Eine Halfpipe für Skater? Raus aus der Stadt, ins unzugänglichste Loch und verrotten lassen. Ein betreutes Jugendhaus? Zeit ist Geld und Geld müssen wir sparen!

DAS sind Dinge, denen ich einen großen Teil der Schuld geben würde. Es hört sich so einfach an. Und im Grunde genommen ist es das auch. Aber viele Städte fühlen sich einfach nicht zuständig. Nicht für die Jugend. Für ausländische Jugendliche erst recht nicht.

Ganztagsschule kann neue Perspektiven schaffen

Auch das Schulsystem gehört reformiert. Ganztagsschulen halte ich mittlerweile auch für eine gute Sache. Schulen, die den Kiddies bis zum Abend eine Plattform geben, wo sie sich austauschen, wo sie lernen, wo sie sich kennen lernen können.

Dazu würde auch ein modernes und reichhaltiges Angebot an sportlichen und kreativen Aktivitäten gehören. So könnten nicht nur die Jugendlichen von der Straße in ein betreutes und kompetentes Umfeld geholt werden. Vielmehr können die Jugendlichen dadurch auch eigene Stärken und Interessen weiter ausschöpfen und entwickeln. Seien es jetzt sportliche Aktivitäten, Zeichenkurse oder Musik.

Wenn die Jugendlichen schon kein Zuhause haben, wo sie sich zurückziehen können, dann muss man ihnen andere Heimaten schaffen. Man muss sie fördern und ihnen ein reichhaltiges und abwechslungsreiches Freizeitangebot bieten!

Die Jugend von heute ist das Deutschland von morgen!

Die Jugend – ob schwarz, ob weiß, ob gelb, ob rot – ist die Zukunft. Die Zukunft Europas, die Zukunft Deutschlands. Unsere Zukunft. Deswegen müssen auch hier Investitionen gemacht werden. Jeder Cent, der in eine Jugendeinrichtung oder in ein Jugendprogramm gesteckt wird, ist ein gut investierter Cent. Und es wird sich auszahlen. Tausendfach!

Nochmal zurück nach Rottenburg. Wie gesagt, gibt es in unmittelbarer Nachbarschaft vom Jugendhaus ein großes Haus, indem viele Familien von Russlanddeutschen wohnen. Dies war aber nicht immer so.

Behörden als Menschenhändler

Vor einigen Jahren lebten diese Familien noch in einem großen Gebäudekomplex im benachbarten Tübingen. Im Haus neben dem Jugendhaus lebten stattdessen Albanische Familien. Unter ähnlichen Bedingungen, wie ich sie oben schon geschildert habe.

Irgendwann aber kamen irgendwelche Investoren und die Stadt Tübingen auf die Idee, dass sich mit dem Gebäudekomplex Geld verdienen ließe. Man müsste ihn nur etwas renovieren. Und man müsste nur die darin lebenden Familien los werden.

Aber wohin mit denen? Ach, gibt es nicht in Rottenburg ein großes graues Haus? Was, da leben schon viele albanische Familien? Egal, die müssen dort raus. Wohin? Egal, Hauptsache raus. Verteilt sie doch auf die umliegenden Dörfer und Gemeinden, irgendeinen Platz findet man doch immer.

Eine Zugfahrkarte für den Umzug

Gut. Wie bekommt man jetzt die russischen Familien von Tübingen nach Rottenburg? Mhhh, eigentlich ja nicht unser Problem. Wir geben jedem das Geld für eine Zugfahrkarte, das reicht. Die haben ja sowieso nicht soviel. Hauptsache, wir können mit den Renovierungsarbeiten beginnen. Denn: Zeit ist Geld!

Ihr glaubt das kann nicht sein? Oh doch, so sieht Bürokratie heutzutage in Deutschland aus. So menschenverachtend gehen deutsche Behörden mit Aussiedlern und Migranten um. Seid doch mal ehrlich, da muten doch die Vorwürfe, die manche Zeitung gegenüber Migranten erhebt ziemlich unseriös an, oder?!

Helmut Kohl und die brennenden Asylantenheime

Womit wir auch wieder einen Bogen hin zu Malzahns Artikel spannen können, denn dass deutsche Politiker und Verantwortliche Ausländern gegenüber keine Fairness zuteil kommen lassen, ist nicht erst ein Phänomen neuerer Zeit:

Als in Deutschland dann Anfang der Neunziger Jahre in Solingen, Mölln und Rostock-Lichtenhagen Menschen verbrannt wurden und Flammen aus Asylunterkünften loderten – war Kohl nicht da. Der Mann, der so viel über die Macht von Symbolen wusste, ließ sich mit den ausländischen Opfern nicht fotografieren. Er besuchte nicht einmal die Tatorte. Warum? Weil die Opfer keine Deutschen waren? Die Antwort steht noch aus.

Schwarz-Rot-Grün

Malzahn weist im Folgenden darauf hin, dass es erst der Rot-Grünen Bundesregierung bedürfte bis Integration und Ausländer auch in der Öffentlichkeit gehör fanden und sich endlich etwas tat. Auch wenn es vielleicht zu wenig gewesen sein sollte, so war es auf jeden Fall mehr, als die konservative CDU-FDP-Koalition in den Jahrzehnten zuvor auf die Beine gestellt haben!

Wie Integrationspolitik made by Stoiber aussieht, beschreibt Malzahn folgendermaßen:

Den ausländerpolitischen Hardlinern Stoiber und Co. fällt dagegen nichts anderes ein, als die Abschiebung von „jugendlichen Straftätern in ihre Herkunftsländer“ zu fordern.

Klar, kommen Probleme, dann am besten immer weit weg damit. Nur nicht in Versuchung geraten nachzudenken und etwas anders, besser zu machen. Aber dass dann gerade die konservativen Sprecher, Zeitungen und Genossen momentan hingehen und am lautesten brüllen mutet doch reichlich schizophren an!

Deswegen fordert Claus Christian Malzahn dann auch:

Liebe Konservative: Kapiert endlich, dass dieses Herkunftsland Deutschland heißt. Multikulti ist eine Realität. (…)Warme Worte hat es in der Vergangenheit genug gegeben. Was die Republik jetzt braucht, ist eine ehrliche, selbstkritische Bilanz. Weder multikulturelle Verklärung noch hysterische Warnrufe helfen weiter. Wer sagt, dass mit den Ausländern etwas falsch läuft, denkt immer noch in den alten Kategorien von „Die“ und „Wir“. Er vergisst beispielsweise, dass die Leidtragenden der Bildungsmisere an Lehranstalten wie der Rütli-Schule in erster Linie die Kinder und Jugendlichen aus Einwandererfamilien sind.

(…)Wir brauchen deshalb eine nationale Anstrengung, um diesen Trend zu drehen! Denn auch Edmund Stoiber müsste angesichts sinkender Geburtenraten ein ganz egoistisches Interesse daran haben, dass die türkischen Kids von heute zur deutschen Elite von morgen gehören. Schön wäre, wenn er jetzt auch etwas dafür tun würde, anstatt nur Alarm zu rufen. Wie wäre es mit einem Integrationsministerium in München?

Cowboys – in Hollywood ausgezeichnet, in Deutschland nur Banane

Genau, der Bayerische Cowboy könnte statt lauter populistischer Worte endlich einmal Taten sprechen lassen und mit gutem Beispiel voran gehen. Aber bitte in die richtige Richtung und nicht jetzt andere dafür strafen, was man selber verbockt hat!

Aber nein, ich hab es ja ganz vergessen: Türken sind mehrheitlich Muslime. Oh, oh, das lässt sich doch mit den Grundzügen der Christlichen Parteien nicht vereinbaren. `Tschuldigung, ganz vergessen!

Und auch für die Große Koalition aus CDU und SPD hat Malzahn ratende Worte:

Liebe Große Koalition: Ihr seid dabei, die Chance auf die zweite deutsche Einheit zu verspielen – die republikanische Einheit der Einwanderungsrepublik Deutschland.

Und wo wir schon einmal bei Ratschlägen an die Macher und Großmäuler der Nation sind, dann dürfen wir auch die Bild-Zeitung nicht vergessen. An diese richtet sich C.C.M. in seinem abschließenden Abschnitt:

Auch ein Massenblatt wie die „Bild“-Zeitung könnte mit ihrer klaren Sprache hilfreich sein. Auf Ausgaben, in denen Kampagnen gegen erfolgreiche Schauspielerinnen türkischer Herkunft gefahren werden oder ein Arnulf Baring von der Leine gelassen wird, können wir dagegen verzichten.

Aber ob sich wirklich etwas ändert? Ich wage es zu bezweifeln. Zumindest erwarte ich von den in diesem Artikel Kritisierten keine Wunder. Natürlich würde ich mich gerne eines Besseren belehren lassen. Aber mal ehrlich:

Nicht umsonst heißen die Konservativen die Konservativen!

Aber, falls ihr es noch nicht gemerkt habt: Wir leben in der Gegenwart. In einer neuen Zeit. Früher ist früher. Heute ist heute. Morgen ist morgen. Deutschland ist bunt und reichhaltig an verschiedenen Kulturen. Deutschland hat viele Farben, viele Religionen und viele Sprachen. Wann verstehen dies auch die Konservativen? Lassen wir die Einfalt hinter uns. Nehmen wir die Herausforderungen an. Gemeinsam.

Kommt lasst uns modern sein!!!

bluejax
, den 06. April 2006

Quellen und Links:
http://www.bluejax.net/2006/03/13/malzahns-ausbruch
-undankbares-pack-%e2%80%93-die-vergesslichen-deutschen/
http://www.spiegel.de/
http://www.spiegel.de/politik/debatte/
0,1518,409905,00.html
http://www.bildblog.de/

Die klare Sprache von “Bild”


http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/
0,1518,408658,00.html
http://www.taz.de/pt/2003/11/27/a0163.1/text
http://www.taz.de
http://www.rottenburg.de/
http://www.juha-klause.de/
http://www.tuebingen.de/
http://de.wikipedia.org/wiki/T%C3%BCbingen
http://de.wikipedia.org/wiki/Rottenburg
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