Dieser Artikel basiert auf (zum Teil nicht verwendeten) Ausarbeitungen im Vorfeld meiner Diplomarbeit „Sozialmediale Intereffikation – Eine inhaltsanalytische Auseinandersetzung mit dem (Zusammen-) Spiel von Public Relations und Journalismus in und über Social Media“, ergänzt um einige Aussagen der von mir interviewten Experten.
Die Relevanz, die Soziale Medien heutzutage in der öffentlichen Wahrnehmung einnehmen, mussten sie sich in den vergangenen Jahren erst erarbeiten. Gerade gegenüber Blogs, mit denen die Entwicklung der Sozialen Medien begonnen hatte, wurde „viel Skepsis“ geäußert, sie „wurden lange Zeit als Internet-Tagebücher verschrien und als Klo-Wände des Internet“ (Jodeleit: 4).
Über das Henne-Ei-Problem der Sozialen Medien
Es ist dieses seit Jahrhunderten berüchtigte „Henne-Ei-Problem“, das auch hinsichtlich der Sozialen Medien aufgeführt werden kann. Zweifelsohne ist es heutzutage keine Seltenheit mehr, wenn sich in traditionellen Medien wie der Tageszeitung oder im Fernsehen mit Social Media auseinandergesetzt wird. Die Frage allerdings ist, ob die traditionellen Medien und mit diesen nicht zuletzt die Journalisten den Sozialen Medien zu einer Erhöhung von Sichtbarkeit, Relevanz und Reichweite verholfen haben, indem sie sich erst diesen in ihren Formaten gewidmet und damit neue Nutzer zugeführt haben oder aber ob die Masse der Nutzer selber den Sozialen Medien Relevanz verschafft hat, so dass die Journalisten gezwungenermaßen nicht umhin kamen, sich damit auseinanderzusetzen?!
Bernhard Jodeleit, der Standortleiter von fischerAppelt relations in Stuttgart, jedenfalls tendiert zur zweiten Annahme und betont, dass in seiner Wahrnehmung das Interesse der klassischen Medien an Social Media dann gewachsen sei, als man gesehen habe, dass Social Media-Plattformen wie beispielsweise Facebook und Twitter zunehmende Verbreitung bei Internetnutzern fand. In der Folge hätten sich zuerst die Special-Interest-Medien und schließlich „auch die etablierten Medienjournalisten, […] [und] die General-Interest-Medien begonnen, sich für das Thema zu interessieren“ (Jodeleit: 4).
Wie dem auch sei, Social Media ist jedenfalls nicht an einzelne Dienste oder Plattformen gebunden, sondern kann als Entwicklung des gesamten Internets auf Grundlage der Web 2.0-Idee verstanden werden. Das Internet ist nicht zuletzt dadurch heutzutage tendenziell „nicht mehr [nur als eine] Ein-Kanal-Kommunikation“ (Artopé: 4) zu begreifen, sondern ein „Many-to-Many-Phänomen“, das auch in Zukunft nicht mehr verschwinden, sondern als feste Charaktereigenschaft der Internetkommunikation bestehen bleiben wird.
Anders als in traditionellen Medien, wo eine gewisse Elite von Medienschaffenden und Journalisten den Inhalt bestimmt, formt im Internet die Masse der Nutzer den Content. Das Internet wird zu einem Ort der „digitale[n] Fußspuren […], die die Nutzer hinterlassen, je nachdem wie weit [sie] bereit [sind], sich dafür zu öffnen – wissentlich oder unwissentlich“ (Artopé. 4).
Der Gartner`sche Hype Cycle
Angesprochen auf die bisherige Entwicklung der Sozialen Medien verweist Bernhard Jodeleit auf den so genannten „Hype Cycle“ von Gartner (vgl. Jodeleit: 4). Um die Antworten der befragten Experten hinsichtlich der Entwicklung von Social Media für Public Relations und Journalismus etwas besser einordnen zu können und um diese miteinander vergleichbar zu machen, soll nachfolgend kurz auf den Gartner`schen Hype Cycle eingegangen werden.
Der Hype Cycle umschreibt verschiedene Phasen der öffentlichen Aufmerksamkeit, die eine neue Technologie durchläuft. Dabei zeigen sich auf der X-Achse die `Expectations`, die Erwartungen, die im Laufe der Zeit (auf der Y-Achse) unterschiedlich stark ausgeprägt sind. Jecky Fenn und Mark Raskino von der amerikanischen Beratungsagentur Gartner, auf die der Hype Cycle zurück zu führen ist, sprechen auch vom „cycle of hope and disappointment“ (Fenn/Raskino 2008: 7), dem Zyklus von Hoffnung und Enttäuschung, den jede neue Technologie durchlaufen müsse.
Der Gartner`sche Hype Cycle unterscheidet dabei fünf unterschiedliche Phasen (vgl. hierzu Fenn/Raskino 2008: 8 ff.):
1. In der Phase der Innovations-Auslöser („Innovation Trigger“) wird einer neuen Technologie zu einem ersten Durchbruch verholfen, indem bei einem Fachpublikum Interesse dafür geweckt wird. Im Verlauf dieser Phase nimmt die Aufmerksamkeit und Sichtbarkeit stetig zu, mehr und mehr Menschen werden auf die neue Technologie aufmerksam.
2. Als „Peak of Inflated Expectations“, als Gipfel der überzogenen Erwartungen, beschreiben Fenn und Raskino die zweite Phase des Zyklus. Hier ist der Höhepunkt der Aufmerksamkeit erreicht. Unternehmen, die bisher noch nicht auf den Zug aufgesprungen sind, stehen jetzt unter Druck, sich der Innovation anzunehmen, um nicht gegenüber Konkurrenten ins Hintertreffen zu geraten. Jene, die sich bereits frühzeitig mit der neuen Technologie auseinandergesetzt haben fühlen sich stolz und prahlen mit ihrer Vorreiterschaft. Spätestens jetzt tritt ein Mitläufer-Effekt in Kraft, der die Innovation an ihre obersten Grenzen schleudert und gezwungenermaßen zu einer intensiven Auseinandersetzung der Medien mit der Technologie führt.
3. Auf den Höhepunkt folgt anschließend das Tal der Ernüchterung („Trough of Disillusionment“). Die übertriebenen Erwartungen der vorangegangenen Phasen weicht allmählich der Realität. Erfolge von jenen, die frühzeitig mit der Technologie in Kontakt gekommen sind und die in der Folge ein ums andere mal kopiert wurden, führen zu einer Übersättigung. Man kann auch vom `Boden der Tatsachen` sprechen, auf den das Fachpublikum und die Mitläufer heruntergeholt werden. Die Medien, die dauerhaft auf der Suche nach neuen Themen sind, wenden sich ab und setzen sich vermehrt kritisch mit den negativen Auswirkungen und nicht mehr mit den Potentialen der Technologie auseinander. Normalerweise wäre hier das Ende der Innovations-Kurve gekommen, die Technologie würde verschwinden, jene, die von vornherein nicht daran geglaubt haben, sähen sich bestätigt.
4. Es folgt der Hang der Erleuchtung („Slope of Enlightenment“). Einige der Early Adopters setzen sich realistisch und pragmatisch mit der Technologie auseinander, versuchen zwischen der anfänglichen Überbewertung sowie der darauf gefolgten tiefen Enttäuschung einen Ausgleich herzustellen, sehen das Licht am Ende des Tunnels. In dieser entscheidenden Phase findet eine Konsolidierung und eine Professionalisierung statt, die aus dem Tal über den Hang in Richtung Hochebene führt.
5. Als letzte Phase beschreiben Fenn und Raskino schließlich die Hochebene der Produktivität („Plateau of Productivity“). Hier sind nun die tatsächlichen Vor- und Nachteile der Technologie weitestgehend von einer großen Masse akzeptiert und anerkannt. Es wurden angemessene, realistische und praktische Einsatzzwecke gefunden, die zu einer tatsächlichen Ausschöpfung der Potentiale auf einem professionellen Niveau geführt haben. Eine wachsende Anzahl von Unternehmen vertraut dem Einsatz der Technologie und weiß die vormals überzogenen Erwartungen realistisch einzuschätzen. Die Technologie kann als etabliert betrachtet werden.
Über die Konsolidierung von PR und Social Media
Bernhard Jodeleit, zufolge sei Social Media ziemlich schnell „auf den Gipfel der Erwartungen hochgeschossen“ und stecke nun mitten im Beginn einer Phase der Konsolidierung und der Professionalisierung (vgl. Jodeleit: 4), die aber im Moment „noch nicht sehr weit fortgeschritten“ sei (Jodeleit: 5).
Ähnlich sieht es auch Christian Artopé, Unit-Leiter bei der Berliner Agentur Aperto, der darauf verweist, dass sich die „PR […] in den letzten zwei, drei Jahren […] extrem gewandelt“ habe und inzwischen dabei sei, sich „von einem Offline-Dienstleister zu einem Online-Dienstleister“ zu verändern, zu dessen Portfolio es „ganz selbstverständlich“ gehöre, „mit Social Media zu arbeiten“ (Artopé: 7).
Jodeleit sieht diesen Meinungsumschwung innerhalb der Public Relations bereits vor zwei Jahren beginnend. Wichtige PR-Entscheider hätten damals bereits „recht früh erkannt […], da ändert sich was, wir müssen uns an neue Kanäle gewöhnen“ (Jodeleit: 4). Begünstigt wurde diese Entwicklung durch den generellen Einbruch der klassischen Medien, die mehr und mehr mit sinkender Reichweite und einem Rückgang der Auflage zu kämpfen hatten. Soziale Medien seien Jodeleit zufolge, nur der logische Ausweg für PR-Schaffende gewesen, um trotz dieser Probleme der klassischen Massenmedien ihre Botschaften dennoch weiterhin an die Rezipienten und Kunden herantragen zu können, denn „brechen mir die normalen klassischen Medien weg, dann baue ich mir meine eigenen“ (Jodeleit: 4).
Eine konkrete Aussage darüber, in welcher Phase des Gartner`schen Hype Cycle sich die Social Media-Aktivitäten der deutschen PR-Schaffenden heutzutage einordnen lassen können, ist allerdings verallgemeindernd nicht seriös zu beantworten. Während ein Teil der PR-Schaffenden gerade erst dabei zu sein scheint, sich von dem momentan immer noch anhaltenden medialen Hype angesteckt, mit Social Media anzufreunden und sich damit mitten in der Phase des „Gipfel der überzogenen Erwartungen“ (Phase 2) befindet, sind andere bereits im „Tal der Ernüchterung“ (Phase 3) angelangt.
Bernhard Jodeleit, dem bei der PR-Agentur fischerAppelt relations unter anderem die Aufgabe zukommt, „Social Media aus PR-Perspektive voranzutreiben“ (Jodeleit: 1), kann mit seiner Agentur sicherlich schon in der Phase 4, dem „Hang der Erleuchtung“, verortet werden. So hat man in der Agentur-Gruppe inzwischen ein „interdisziplinäres Konstrukt – das `Social Media Strategy Lab`“ aufgebaut, „in dem sich die Vertreter unterschiedlicher Agenturen [der fischerAppelt-] Gruppe austauschen […,] also die Marketingfachleute mit den Unternehmensberatern mit den PR-Menschen mit den Designern“ (Jodeleit: 1) und in dieser Runde inzwischen gemeinsam einen siebenstufigen Social Media Strategie-Prozesse erarbeitet haben (Jodeleit: 5). Gleiches gilt wohl auch für die Internet-Agentur Aperto, wo der Grad der Professionalisierung und Strukturierung des Bereiches „Social Media“ ebenfalls als relativ weit fortgeschritten angesehen werden kann.
PR meets Journalismus
Aber nicht nur im PR-internen Vergleich ist es schwer, den Social Media-Entwicklungsstand der Branche zu definieren, der sehr divergiert. Hinsichtlich der Frage, ob der Konsolidierungsvorgang der Public Relations in Sozialen Medien womöglich weiter vorangeschritten sei, als jener des Journalismus, formuliert der erfahrene Journalist Frank Schmiechen: „Ehrlich gesagt, kann ich […] nicht beurteilen, ob die stärker [in den Sozialen Medien] vertreten sind als [wir] Journalisten. Mein Gefühl sagt mir eigentlich: `Nein`” (Schmiechen 2010: 55).
Insgesamt, so Christian Artopé, Unitleiter und Berater bei der Internetagentur Aperto, sei die Nutzung von Sozialen Medien „für PR sehr viel dankbarer“, als für viele andere Branchen wie auch für den Journalismus, so dass es inzwischen für PR-Schaffende „dazu gehört, sich in Online und in Social Media zu bewegen“ (Artopé: 7). Als Gründe nennt Artopé zum einen die genaue Zielgenauigkeit (Stichwort: Targeting), die sich online und insbesondere in Sozialen Medien erzielen ließen sowie die Bereitschaft von Auftraggebern hierfür zu zahlen. „Bei PR stellt sich immer die Frage, ich habe eine bestimmte Zielgruppe, wie kann ich diese Zielgruppe am besten erreichen und beeinflussen` und da gibt es keine schönere Geschichte, als das Netz und Social Media“ (Artopé 2010: 7).
Bernhard Jodeleit bringt noch eine ganz andere Sichtweise mit ein. Denn gerade weil sich Social Media aktuell in einem Übergang zwischen den Phasen des „Gipfel der überzogenen Erwartungen“ über das „Tal der Ernüchterung“ bis hin zum „Hang der Erleuchtung“ befinde, sei insbesondere der „Sensibilisierungsgrad der Unternehmen“ gegenwärtig „extrem hoch“, denn plötzliche gäbe es „immer mehr Anlässe für Unternehmen, sich mit Social Media zu befassen“, was dazu führe, dass „sehr viele Unternehmen […] im Moment dabei [sind], eine Social Media Position zu entwickeln und auch über Strategien nachzudenken“ (Jodeleit: 4).
Jodeleit spricht von einem Grummeln, dass es schon seit einigen Monaten in den Unternehmen gebe „und jetzt sind eben die Dämme gebrochen vor einiger Zeit“ (Jodeleit: 4). Diese Aufgeschlossenheit der Unternehmen, gepaart mit der Angst sich in Sozialen Medien womöglich unüberlegt und falsch zu bewegen, habe zu einer niederen Beratungsresistenz der Unternehmen geführt, was Jodeleit zufolge, „eine Rückbesinnung auf die strategischen Grundlagen der PR“ zur Folge habe (Jodeleit: 4).
Zustimmung, was die optimistische Sichtweise auf die Public Relations im Umgang mit Social Media angeht, erhalten Artopé und Jodeleit aus dem Journalismus. Denn dass Soziale Medien enorme Potentiale für die Public Relations bereit halten, davon ist auch der stellvertretende Chefredakteur der WELT-Gruppe, Frank Schmiechen, überzeugt: „Ja klar, die müssen da rein, überhaupt gar keine Frage“, denn wenn die PR „das gut macht und auch ich als Journalist damit in Kontakt komme, dann ist das für die [PR] einfach gut, ob ich drauf kucke oder nicht“ (Schmiechen 2010: 55). Demnach sei es ohnehin seit je her eine der Aufgaben von PR-Schaffenden, so viele Menschen wie nur irgendwie möglich mit den eigenen Botschaften in Kontakt zu bringen. Und dieses Potential wäre in Sozialen Medien und Sozialen Netzwerken naturgegeben vorhanden.
Insgesamt so Bernhard Jodeleit, könne man zum gegenwärtigen Zeitpunkt schon ein vorläufiges Fazit ziehen, nämlich, „Social Media aus PR-Perspektive bricht die Starre der PR-Branche auf“ und hätte damit nicht zuletzt auch „das Potential, PR ein bisschen menschlicher zu machen“ (Jodeleit: 3 und 4).
Quellen:
– Artopé, Christian (2010). In: Sozialmediale Intereffikation – Eine inhaltsanalytische Auseinandersetzung mit dem (Zusammen-) Spiel von Public Relations und Journalismus in und über Social Media, TU Ilmenau.
– Fenn, Jackie / Raskino, Mark (2008): Mastering the Hype Cycle. How to choose the Right Innovation at the Right Time. Harvard Business School Publishing, Massachusetts.
– Jodeleit, Bernhard (2010). In: Sozialmediale Intereffikation – Eine inhaltsanalytische Auseinandersetzung mit dem (Zusammen-) Spiel von Public Relations und Journalismus in und über Social Media, TU Ilmenau.
– Schmiechen, Frank (2010). In: Sozialmediale Intereffikation – Eine inhaltsanalytische Auseinandersetzung mit dem (Zusammen-) Spiel von Public Relations und Journalismus in und über Social Media, TU Ilmenau.
– Rechlitz, Jan M. (2010): Sozialmediale Intereffikation – Eine inhaltsanalytische Auseinandersetzung mit dem (Zusammen-) Spiel von Public Relations und Journalismus in und über Social Media, TU Ilmenau.
Die finale Version der Diplomarbeit „Sozialmediale Intereffikation“ wird in den kommenden Wochen im Internet unter OpenEducation-Philosophie publiziert.