Aktuell findet in Ilmenau die Bergfestwoche des Diplom-Matrikels 2004 sowie des Bachelor-Matrikels 2005 statt. Jeden Tag warten allerlei Veranstaltungen auf die Studierenden der Technischen Universität, vom traditionsreichen Bierathlon auf den Kickelhahn, dem Bergfestfilm über eine Bergfestvorlesung bis hin zur Bergfestparty.
Gestern Abend war die Premiere des diesjährigen Bergfestfilmes. „Incomparable“ ist – bedenkt man, dass der Film komplett von den Studierenden in Eigenregie auf die Beine gestellt wurden – eine wirklich gelungene und unterhaltsame Krimokomödie. Im Anschluss an die Filmpremiere fand dann im Foyer des Hemholtzbaus eine Movielounge mit großem Buffet statt.
Einheitlicher Zwang statt individueller Authentizität
Und hier haben die Organisatoren für einige Missstimmung unter den Studenten gesorgt. So wurde von den am Eingang stehenden Securities gnadenlos aussortiert, was nicht in Hemd und feinem Zwirn erschienen war. Studenten wurden nach Hause geschickt und einige so um eine Attraktion ihres eigenen Bergfestes beraubt. Vorgänge, die in meinem Freundeskreis zu einer angeregten Diskussionen geführt haben!
Was ich gar nicht ausstehen kann, ist, wenn mir jemand vorschreiben möchte, wie ich mich zu kleiden, wie zu geben und wie aufzutreten habe. Meiner Meinung nach raubt man mir somit immer einen Teil meiner Authentizität und zwängt mich in ein enges Korsett, in welchem ich mich unwohl, gar eingesperrt fühle und bei dem ich das Gefühl habe ein stückweit meiner Persönlichkeit beraubt zu werden.
Schwarz-weiße Fesseln der Gesellschaft
Bisher habe ich mich von solchen – in meinen Augen sinnlosen – Etikett-Vorgaben nicht beeindrucken lassen. Bei meinen Praktika- und Job-Vorstellungsgesprächen bin ich immer in der Kleidung aufgetreten, wie ich sie auch sonst tagtäglich trage. Ein Unternehmen, welches von mir als Angestelltem erwartet, dass ich mich zu jemand mache, der ich nicht bin, kam bisher nicht für mich in Frage. Wieso soll ich mich zu etwas drängen lassen, bei dem ich mich nicht wohl fühle?!
Bereits bei unserem Abi-Ball hatten es die Verantwortlichen versucht. Damals wurde für alle männlichen Besucher die Vorgabe gegeben, in schwarzer Hose und in weißem Hemd zu erscheinen. Wer mich kennt, wusste, dass ich mich nicht daran halten würde. Ich kam in weißer Jeans und schwarzem Oberteil. Was sollte man denn auch dagegen machen? Mich von meinem eigenen Abi-Ball samt Zeugnisübergabe ausschließen? Dass ich nicht lache!
Aussehen als Hindernis
Deswegen rege ich mich auch bis heute über die Organisatoren der gestrigen Movielounge auf. Nein, es ist nichts persönliches, im Gegenteil, ich verstehe mich mit den Verantwortlichen sogar richtig gut. Aber Dresscode-Vorschriften laufen mir einfach total zuwider.
Dabei war es nicht mal so, dass ich nicht rein gekommen bin. Ich hatte mich gestern sogar für das „richtige“ Outfit entschieden und wäre auch ohne Probleme zu Lounge und Buffet gelangt. Allerdings mag ich es nicht, wenn ich es durch die Kontrolle schaffe, nur weil ich zufälligerweise die „richtige“ Kleidung angezogen habe. Ich ziehe an, worin ich mich in dem Moment wohl fühle, und nicht, weil es mir jemand vorschreibt!
Gift und Schweigen für die Kreativität
Einige Kommilitonen von mir – allesamt gute Freunde – hatten weniger Glück. Ihnen wurde von den Kontrolleuren am Eingang der Eintritt verwehrt, sie wurden nach Hause geschickt. Für mich eine bodenlose Unverschämtheit, handelte es sich immerhin bei allen um Studenten, die diese Woche ihr Bergfest feiern. Konsequenterweise habe ich dann ebenfalls auf den Eintritt verzichtet. Was habe ich auf einer Party zu suchen, deren Organisatoren meinen Freunden den Eintritt verhindern? Genau: Nichts!
Ironischerweise handelte es sich bei einigen dieser Studenten, die es nicht in die Movielounge geschafft hatten, um Menschen, die in ihrem studentischen sowie im privaten Bereich viel Erfahrung im Kino- und Filmbereich vorweisen können, teilweise auch regelmäßig auf der Berlinale arbeiten. Doch lieber zog man diesen die kragenhochstellenden BWL-Studenten vor. Kino und Film haben ja schließlich auch was mit Finanzen und Wirtschaft zu tun…
Typisch… Deutsch?!
Erinnern muss ich mich die ganze Zeit an einen Spiegel-Artikel über Haim Saban. Der ehemalige Anteilseigner von ProSieben und Sat.1 hatte sich einst sehr über die Verantwortlichen seiner Sender echauffiert. Grund war damals, dass diese zu den Meetings allesamt in einheitlichem Kostüm von Schlips und Krawatte erschienen sind. Wie können dies kreative Menschen sein, so seine Kritik.
Als Organisator einer solchen Veranstaltung sollte man auch immer im Auge behalten, was eine solche Kleiderordnung für Auswirkungen hat. Abgesehen davon, dass viele Leute, die mit ihrem unkonventionellen Auftreten sicherlich zu einer Auflockerung der Veranstaltung beitragen würden, so müssen diejenigen, die es durch die Kontrollen geschafft haben, den ganzen Abend lang steif in ihrem Anzug verharren. Bewegungslosigkeit und eine durch die Krawatte eingeschnürte Kehle inklusive!
Stimmung in uniformierter Einheitlichkeit?
So habe ich nur wenige Stunden später auch erfreut zur Kenntnis genommen, dass andere Freunde von mir die Movielounge frühzeitig verlassen und sich unserem Alternativprogramm angeschlossen haben, mit dem Hinweis, dass die Veranstaltung zu steif und stimmungslos gewesen sei. Dieser Meinung haben sich heute die meisten angeschlossen, mit denen ich mich unterhalten hatte (was nicht heißen muss, dass es die Mehrheit der gestern Anwesenden auch so gesehen haben muss!).
Ich frage mich immer, wieso so viele junge Menschen die Regeln und Wertvorschriften der Vorgängergenerationen als unumstößlich übernehmen, ohne sie etwas zu lockern, geschweige denn in Frage zu stellen. Aber besonders meine Generation scheint sich lieber mit Gegebenheiten abzufinden, als sich kritisch damit auseinanderzusetzen. Es ist eben bequemer so! Nicht anders sind auch die fehlenden Diskussions- und Demonstrationsverhalten zu erklären. Nicht einmal beim Thema Studiengebühren findet sich eine Mehrheit zusammen, die geschlossen auf die Straße zieht.
Wenn ich höre, dass beim Thüringer Boykott der Verwaltungsgebühr, Hochschulen wie Schmalkalden oder Nordhausen abspringen mussten, weil dort gerade mal vier bzw. drei Prozent der Studierenden teilgenommen haben, dann muss man die Diskursfähigkeit der heutigen Studentengeneration wohl wahrlich in Frage stellen. Es scheint nur noch darum zu gehen nicht aufzufallen und immer ja zu allem zu sagen. Und wenn die anderen in Schlips und Anzug kommen, dann müssen wir es ja wohl auch!
Freie Entfaltung der Persönlichkeit
Auf der zugehörigen Internetseite zum Ilmenauer Bergfest 2007 heißt es zur Movielounge:
(…)Ballkleid und Anzug müssen deswegen trotzdem nicht in den Tiefen des Kleiderschranks versinken!!! Stilgerecht gekleidet könnt ihr auch zur erstmalig stattfindenden Movie-Lounge erscheinen.(…) (Quelle: Bergfest2007.de)
Man könnte sich jetzt Ewigkeiten darüber streiten, ob diese Formulierung beinhaltet, dass man in Anzug und Ballkleid zu erscheinen hat oder ob es einfach eine gute Gelegenheit dazu wäre. Auch wie man das Wort Stilgerecht zu interpretieren hat, ist sicherlich eine Sache der Auslegung. Ich sehe ohnehin in einem „kann“ („könnt“) keine ununmstößliche Vorschrift sondern eben eine Möglichkeit. Auf Nachfrage stimmten die Veranstalter sogar zu. Allerdings bedeutet deren Auffassung zufolge ein „erwünschenswert“ eine zwingende Vorgabe, die es einzuhalten gilt.
Ich bin so, wie ich bin!
Na ja, wie dem auch sei. Nennt mich anstrengend, kleinlich oder aufmüpfig. Ich lasse mich auch in Zukunft nicht zu einer Maskerade zwingen, in der ich mich nicht wohl fühle, nur damit es ein paar Leuten gefällt. Solche Veranstalten werden wohl auch weiterhin auf mich verzichten müssen. Das hat nicht nur etwas mit Idealen oder Prinzipien zu tun. Natürlich auch. Aber vielmehr noch hat es mit Authentizität zu tun und mit der Ehrlichkeit mir und allen anderen gegenüber. Nehmt mich doch so, wie ich bin. Auch in Jeans!
Als Spießbürger oder Spießer bezeichnet man abwertend eine Person, die sich durch geistige Unbeweglichkeit, ausgeprägte Konformität mit gesellschaftlichen Normen, Abneigung gegen Veränderungen der gewohnten Lebensumgebung und Zurückweisung von allem Fremden auszeichnet.
(Quelle: Wikipedia)
An dieser Stelle möchte ich nochmal ausdrücklich darauf hinweisen, dass meine Kritik an der Kleidervorschrift für die Movielounge keinesfalls die organisatorische Leistung der Verantwortlichen im Ganzen schmälern soll. Ganz im Gegenteil, ich möchte mich bei allen Organisatoren und Helfern der verschiedenen Bergfestveranstaltungen für deren ehrenamtliches Engagement herzlich bedanken!!!
bluejax
Il, den 27. Juni 2007
Quellen und Links:
http://www.bergfest2007.de
http://www.incomparable-derfilm.de/
http://www.bergfest2007.de/bf/index.php?menuid=58