Was würde ich wohl für ein Buch schreiben, wenn ich ein Schriftsteller wäre? Diese Frage habe ich mir eigentlich mein Leben lang immer wieder gestellt. Wovon würde es handeln, dieses „eine“ Buch; dieses Buch, das es wirklich wert sein soll, soviel Zeit, Aufmerksamkeit und Mühe zu erhalten, nur damit es entstehen kann. Aus dem Nichts geformt. Ein Buch, dass die Menschheit niemals vermisst hätte, wenn es nicht erschienen wäre und das die Menschheit wohl auch dann nicht kennen würde, wenn es geschrieben würde. Aber darum würde es mir auch nicht gehen, ich würde das Buch nicht schreiben aus dem Grund, damit es die Menschheit liest und nicht vergisst, so wie ich mein Leben auch nicht lebe, damit die Menschen mich wahrnehmen und nicht vergessen.
Vielmehr wäre es ein Buch, das sich nur an einige wenige Menschen richten würde; Menschen, die nicht danach gieren, das eine große Buch in den Händen zu halten, dass von so vielen Freunden und Bekannten empfohlen wurde. Es wäre ein Buch, das verstaubt und versteckt in irgendeinem vergessenen Bücherregal stehen würde, bis es von einer Person zufällig entdeckt wird. Es wäre eines dieser geheimnisvollen Bücher, die keiner kennt, aber welches diejenigen, die es lesen und verstehen, lieben würden.
Ein Buch, das eine Geschichte erzählt; eine Geschichte ohne Helden; ohne vorhersehbare Geschehnisse und ohne absehbare Wendungen; ein Buch das weder Drama wäre, noch Komödie, weder Krimi, noch Slapstick; ein Buch, das nicht gemacht ist für ein großes Publikum, die Masse, die es erstickt und zerreisst. Es wäre ein Buch, das nichts besonderes ist und sich gerade dadurch von all den anderen Millionen von Büchern unterscheiden würde, nämlich weil es nicht geschrieben wurde, damit es hervorsticht oder jemanden überzeugt. Es wäre schlichtweg nicht viel mehr als es ist: Nämlich ein einfaches Buch, das nicht viel mehr tut als eine Geschichte zu erzählen!
Wenn ich dieses Buch schreiben würde, ich würde wohl hingehen und die Geschichte in eine andere Welt verlagern. Nicht aus dem Grund, weil diese unsere Welt nicht schön wäre und die Geschichte so nicht auch in der realen Welt spielen könnte. Aber es wäre eine Geschichte und Geschichten sollen etwas erzählen; etwas, was nicht immer logisch sein muss und nicht immer realistisch. So wie das richtige Leben, das auch nicht immer logisch ist; oder realistisch. Aber muss denn ein Buch, welches eine Geschichte erzählen soll, zwangsweise immer in der Welt spielen, in der wir ohnehin schon leben?
Das Leben beinhaltet sowieso schon genug kurioser Geschichten, mein Buch aber würde nicht eine weitere dieser alltäglichen Geschichten erzählen. Das würde meinem Buch nur den Reiz nehmen, es wäre vorhersehbar. Und vorhersehbare Dinge und Ereignisse – das ist auch im realen Leben nicht viel anders – sind ermüdend und langweilig. Mein Buch sollte aber nicht ermüdend sein und auch nicht langweilig. Es sollte den Leser vielmehr mit auf eine Reise nehmen; eine Reise, die bunt ist und abwechslungsreich; spannend und herausfordernd; eine Reise, die fasziniert und funkelt und voller Abenteuer steckt. Eine Geschichte also, die doch wäre wie das Leben, das wir leben. Aber anders als beim Leben sollte der Leser dadurch, dass er in eine neue und ferne Welt entführt würde, die Dinge auf einmal sehen wie sie wirklich sind. Der Leser würde erkennen, was er sieht und glauben, was er zu erkennen meint.
Wahrscheinlich wäre die Reise gesäumt von vielen unvorhergesehenen Herausforderungen. Ich würde viele Hürden und Hindernisse einarbeiten, denn Reisen erhalten erst durch das Bewältigen von Problemen und Aufgaben etwas Einmaliges. Meine Reise sollte etwas ganz besonderes sein, ein Abenteuer, das den Leser fesseln würde, so dass er sich in dem Buch verliert. Eine Geschichte, die die Phantasie anregt. Es gäbe knifflige Rätsel, die es zu lösen gälte; Labyrinthe, deren Ausgang gefunden werden, Monster die besiegt werden müssten; es gäbe auf Schritt und Tritt neue Hindernisse, die den vermeintlich leichten Weg, versperren, Herausforderungen, die von den Figuren alles abverlangen würden.
Meine Reise wäre die Suche nach einem bestimmten Ziel, vielleicht ein Schatz. Ein Schatz, der nicht dadurch wertvoll wäre, weil irgendjemand seinen Wert in Gold bemisst. Vielmehr wäre es ein Schatz, der umso mehr an Wert gewinnen würde, je länger und je schwieriger die Reise wird. So wie ein Stück Kohlenstoff erst dann für viele wirklich wertvoll und bezaubernd wird, wenn dieses Stück richtig geschliffen und ins Licht gehalten wird, so würde mein Schatz an Wert gewinnen, je länger und je steiniger die Reise dort hin führen würde. Nur wenn die Figuren all die Rätsel gelöst, die Labyrinthe durchschritten, die Monster besiegt und die Hindernisse aus dem Weg geräumt hätten, erst dann dürften sie den Schatz, der gerade durch all diese Herausforderungen seinen wahren Wert gewonnen hätte, der ihn letztlich erst zu einem Schatz werden ließ, in ihre Arme schließen.
Die Figuren meines Buches, das die Geschichte von einer abenteuerlichen Reise auf der Suche nach einem Schatz erzählen würde, wären anders als in anderen Büchern. Meine Figuren wären keine Helden, sie hätten keine Superkräfte, keine übersinnlichen Fähigkeiten und auch keine besonderen Begabungen. Meine Figuren müssten nicht glatt und angepasst sein, auch nicht brav oder übermäßig intelligent. Die Figuren müssten nicht von jedem auf den ersten Blick geliebt werden, sie dürften ruhig Macken und auch Kanten haben. Sie wären nicht übermäßig stark in ihrem Erscheinen, nicht laut in ihrem Auftreten und auch nicht perfekt in ihrer Persönlichkeit. Sie dürften Fehler machen und unbequem sein, dürften Schwächen haben und auch zwischendurch mal verlieren. Aber meine Figuren wären ehrlich und offen, man könnte ihnen vertrauen; sie hätten Geduld und Verständnis. Nein, meine Figuren sollten keine Helden sein, sondern stattdessen ganz normal. Sie wären fehlbar aber fair. Sie wären so wie wir und dennoch wären sie gleichzeitig irgendwie anders.
Vielleicht würde ich nicht mal Menschen nehmen für meine Figuren, das wäre wieder viel zu einfach für solch eine Geschichte. Und wir wissen ja alle, dass einfache Dinge auf Dauer immer langweilig sind und nur selten befriedigend. Nein, vielleicht wären meine Figuren viel eher Tiere. Wer weiß, vielleicht würde ich mich ja für eine Katze entscheiden; eine eigensinnige Katze, die ich auf eine lange und abenteuerliche Reise auf der Suche nach einem Schatz schicken würde.
Aber vielleicht würde ich es auch gar nicht schreiben, dieses eine Buch mit der besonderen Gesichte von einer eigensinnigen Katze, die sich auf eine abenteuerliche und lange Reise machen würde um einen besonderen Schatz, der mit jeder Herausforderung an Wert gewinnt. Vielleicht wäre es so, dass diese Geschichte sowieso keiner lesen würde, geschweige denn glauben. Denn wer mag denn schon Geschichten von Problemen und Hürden; von langen und schweren Reisen; von Figuren die Schwächen haben, Fehler begehen und die keine Helden sind? Wer mag schon Konfrontationen und Auseinandersetzungen mit Hindernissen und Herausforderungen? Möchten die Leser nicht vielmehr, dass alles immer und durchgehend perfekt ist und auch einfach; dass die Reise leicht, bequem und kurz, die Helden stark und unfehlbar und der Schatz in Gold bemessen ist?
Nun ja, wer weiß, vielleicht werde ich es schreiben das eine, das besondere Buch. Vielleicht werdet ihr niemals davon hören, weil kein Mensch davon spricht. Aber wenn es so sein soll, dann wird die Geschichte euch finden. Und wenn ihr euch nicht abschrecken lasst, von der steinigen Reise und meinen nicht ganz perfekten Figuren, dann habt ihr am Ende vielleicht das Glück der Wenigen, die gemeinsam mit einer liebenswerten Katze einen einmaligen und besonderen Schatz finden dürfen. Das einzige was ihr benötigt ist etwas Geduld und das nötige Vertrauen!
bluejax aka PorNoKratie
Berlin, den 27. November 2009