Der englische Begriff „Payback“ kann übersetzt werden mit den Begriffen „Heimzahlen“, „Abrechnung“ oder „Rache“. „Payback“, so heißt auch das Buch, das Frank Schirrmacher, Herausgeber der FAZ, Ende 2009 veröffentlichte und in der sich der Autor kritisch mit dem Einfluss moderner Informationsmedien wie dem Internet und den Sozialen Medien auf den Menschen (also Schirrmacher selbst) auseinandersetzt, eine Überforderung mit der täglichen Informationsflut beklagt und vor einer computerdominierten Zukunft warnt.
Dass der Titel des Buches ruhig wörtlich zu verstehen ist, das durfte nun der Psychologe und Unternehmensberater Peter Kruse erfahen, der sich mit unterschiedlichen Themen rund um das Web 2.0 sowie Auswirkungen der Netzwerkkultur auf die Gesellschaft auseinandersetzt und sich im Internet großer Beliebtheit erfreut. Kruse wurde wenige Tage nach der Veröffentlichung von „Payback“ von der Süddeutschen zu seiner Meinung über Schirrmachers Buch befragt und antwortete kritisch:
Herr Schirrmacher begeht in seinem Buch einen erstaunlichen Denkfehler durch die Einseitigkeit der von ihm gewählten Perspektive: Er betrachtet die digitale Welt ausschließlich aus dem Blickwinkel einer Person, die das Geschehen als distanzierter und bewertender Beobachter erlebt. Wer sich nicht selbst in den Netzwerken bewegt und sie als eine schwer zu ertragende Kakophonie empfindet, der fühlt sich logischerweise schnell überfordert und vielleicht sogar aggressiv belästigt. Mit seinem Buch outet sich Herr Schirrmacher als fremdelnder Netzwerk-Besucher, als Zaungast, der einer wilden Party gleichermaßen neugierig wie irritiert aus der Ferne zuschaut.
Das Imperium schlägt zurück
Sechs Monate nach diesem Interview folgte nun in der vergangenen Woche die „Rache“ von Frank Schirrmacher in Form des Artikels „Der Vollweise“, geschrieben allerdings nicht von ihm selbst, sondern von Edo Reents, Redakteur im Feuilleton der FAZ.
Zugegeben, man darf und muss von Journalisten erwarten, dass sie sich kritisch mit Personen auseinandersetzen; man darf und muss erwarten, dass sie recherchieren und versuchen Hintergründe aufzudecken; man darf und muss erwarten, dass sie Menschen und Dinge hinterfragen. Aber man darf und muss von Journalisten – zumal wenn sie für den Feuilleton-Teil einer der größten und einflussreichsten deutschen Zeitungen arbeiten – auch erwarten, dass sie sich dabei objektiv, sachlich und vor allen Dingen verantwortungsvoll verhalten. Qualitäts-Journalismus nennt man man so etwas auch.
Doch es reicht eigentlich schon den ersten von „Der Vollweise“ zu lesen und man ahnt, dass diese Prinzipien für diesen Artikel nicht gelten können. Dort heißt es:
Man muss ihn gar nicht hören; schon wenn man ihn sieht, denkt man: Der Mann ist alles in einem – Faust, Luther und Moses, dazu vielleicht noch eine Prise Peeperkorn.
Beleidigung auf hohem Niveau
Nun, um zu verstehen, auf was ich hinaus möchte, muss man wissen, dass Edo Reents, der Autor des Artikels ein eingefleischter Thomas Mann-Kenner ist. Nach seinem Studium der Germanistik, Publizistik und Philosophie in Münster hat er mit einer Arbeit über Thomas Mann promoviert. Später publizierte er eine Biographie über den Schriftsteller.
Thomas Mann hatte 1924 einen Roman namens „Der Zauberberg“ veröffentlicht. Eine der Charaktere des Buches: Mynheer Peeperkorn, zweifelsohne jener „Peeperkorn“, auf den auch Edo Reents in seinem Artikel hinweist. Ohne jetzt genauer auf die Geschichte aus „Der Zauberberg“ einzugehen, gehe ich gleich mal zwei Schritte weiter und möchte kommentarlos zitieren, was Hermann Kurzke in dem Buch „Thomas Mann: Epoche, Werk, Wirkung„ über Mynheer Peeperkorn in einer Auseinandersetzungen geschrieben hat:
Peeperkorn ist eine vieldeutige Figur, und es ist umstritten, ob er bruchlos in die Struktur des Romans eingefügt ist […] Lernt Hans etwas durch diesen neuen Mentor oder bleibt auch Peeperkorn eine folgenlose Episode? Ist er als Persönlichkeit ernst zu nehmen oder ist er eine Karikatur? […] Deshalb ist Peeperkorn kein Mann der Rede, sondern der Wortlosigkeit und des „großmächtigen Gestammels“ […] Dennoch ist nicht zu übersehen, dass Peeperkorn eine Karikatur ist. Er ist keine wirkliche Persönlichkeit, er macht vielmehr nur den Eindruck einer solchen. Er ist nur eine Spielmarke des Romans. […]
(Kurzke 1997: Thomas Mann – Epoche, Werk, Wirkung, S. 205)
Um dieser Einordnung der Figur Mynheer Peeperkorn noch etwas Nachdruck zu verleihen und sie gleichzeitig zu komprimieren sei hier noch ein Auszug aus Wikipedia zitiert: „Mynheer Peeperkorn […], von Settembrini als `dummer alter Mann` geschmäht“.
Wie gesagt, ich möchte das Ganze gar nicht groß kommentieren. Nur soviel: Wer über Thomas Mann promoviert und publiziert hat und einen Artikel über einen Wissenschaftler mit einem solchen Vergleich beginnt, der muss sich nicht wundern, wenn der Leser spätestens hier schon ahnt, dass der Artikel nicht gerade mit Objektivität und Fairness bestückt sein kann!
Was ist eigentlich ein qualitatives Interview?
Und in der Tat, was Reents in der Folge alles ablässt, das schließt nahtlos an den Beginn des Artikels an, es wird sogar noch schlimmer. Ich möchte an dieser Stelle wirklich nicht weiter auf all die Polemiken eingehen und unzählige Sätze zitieren, dazu wurde in den vergangenen Tagen an vielen Stellen im Internet bereits zur genüge diskutiert. Reents jedenfalls versucht die Glaubwürdigkeit von Peter Kruse als Berater sowie die von dessen Unternehmen Nextpractice nachhaltig zu diskreditieren. Noch mehr, Reents lässt es auch sich nicht nehmen, die Arbeit und Kompetenz von Peter Kruse als verdienter Wissenschafter und Forscher zu diskreditieren:
Auf den Anspruch auf wissenschaftliche Seriosität […] , reagiert man in Fachkreisen mit Gelächter.
Dabei jedoch lehnt sich auch der stolze Edo Reents weit aus dem Fenster, zu weit, wie sich zeigt. Denn mit einem Mal beweist der Autor, dass er selbst es ist, der von wissenschaftlichem Arbeiten offensichtlich keine große Ahnung zu haben scheint. So schreibt Reents:
In der Regel werden von Nextpractice weniger als zweihundert Personen befragt; dafür wird das mit dem Attribut „qualitatives Interview“ versehen – als hätten alle anderen Interviews keine Qualität.
“Quirliger Nonsens“
Spätestens mit diesem zitierten Satz hat es Edo Reents geschafft, sich selbst auf dem Gebiet der empirischen Sozialforschung als inkompetent zu outen und damit eigentlich auch seine restlichen Kritikpunkte im Artikel in Frage zu stellen! Wer nicht weiß, was ein „qualitatives Interview“ im Rahmen der empirischen, qualitativen Sozialforschung ist, sollte sich nicht anmaßen, sich dermaßen hochnäsig darüber lustig zu machen und damit die Arbeit und Glaubwürdigkeit reines enommierten Wissenschaftlers in Frage zu stellen!
Schlimm genug, dass Edo Reents in diesem Zusammenhang eine weitere Wissenschaftlerin mit in den Strudel zieht:
Ursula Dehm, die beim ZDF seit vielen Jahren Medienforschung betreibt, kriegt sich gar nicht wieder ein: „Da dreht sich einem das Empiriker-Herz um. Das ist quirliger Nonsens.“
Wie bereits weiter oben geschrieben, ich finde es gut und wichtig, wenn sich Journalisten kritisch mit Persönlichkeiten auseinandersetzen und diese auch hinterfragen. Das ist eine der Aufgaben des Journalismus, die man als Rezipient durchaus erwarten muss. Aber gewisse Grenzen sollten dann doch eingehalten werden, von Niveau ganz zu schweigen. Einem Menschen aufgrund von offensichtlicher Antipathie die Kompetenz und, viel gefährlicher noch, die Glaubwürdigkeit – ob als Unternehmer, als Wissenschaftler oder als Person – abzusprechen, sollte gut überlegt sein – und wenigstens mit objektiv nachvollziehbaren Fakten untermauert werden. Schließlich entwächst der öffentlichkeitswirksamen Macht, die ein ohne Zweifel Journalist besitzt, auch etwas fundamental wichtiges: Verantwortung!