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Ängste schüren – Rassismus an Schulen gelehrt

An was denkt ihr, wenn ihr das Wort „Überbevölkerung“ hört? Armut, Hunger, Wassermangel, Afrika, China, Indien, Südamerika,…?

Ganz ehrlich muss ich zugeben, dass es bei mir jene Wörter sind, an die ich immer zuerst denken muss, höre ich dieses Wort. Es sind auch diese Zusammenhänge, die uns in der Schule im Unterricht gelehrt werden: Es leben immer mehr Menschen auf der Erde. Dadurch werden der Lebensraum, die Rohstoffe, Platz, Nahrung und Wasser knapp. Folge ist, dass alle Menschen, auch die in den Industrienationen, von Armut betroffen sind und die Erde mehr und mehr zerstört wird. Und natürlich wird einem auch immer gelehrt, dass es Nationen wie die oben aufgeführten sind, die zum „Problem“ werden.

Werfen wir doch mal einen Blick auf Wikipedia [1]:

„Anhänger der Bevölkerungstheorie betrachten den Zustand der Überbevölkerung als (…) eines der zentralen Probleme der Menschheit. Durch das explosionsartige Wachstum der Weltbevölkerung (…) seien einige Regionen, vorwiegend in den wenig entwickelten Staaten in Afrika und Asien überbevölkert, oder litten unter einem enormen Bevölkerungsdruck. Als Folgen träten Hunger, Armut, Mangelerscheinungen, ökologische Probleme, die schnelle Ausbreitung von Epidemien und wirtschaftliche Stagnation auf.“

Machen wir eine kleine Tour durch die Weiten des Internets:

Auf der Seite wissenschaft.de heißt es [2]:

„Faktoren wie zunehmende Überbevölkerung, Armut und der globale Klimawechsel führen zu immer neuen Bedrohungen der Gesundheit.“

Oder bei heise.de finden wir einen Artikel von Rudolf und Maria Maresch, worin es in einem Konzertbericht über U2 heißt [3]:

„Würde der Forderung Bonos, dass niemand im 21. Jahrhundert mehr an Hunger, Armut oder Elend in der Welt sterben dürfe, nämlich Genüge getan, würde die Erde bald in ein neues Dilemma stürzen. Sie würde dann halt an Überbevölkerung zugrunde gehen. Und würden zum Beispiel die Regeln des „fair trade“ tatsächlich in der Alten und Neuen Welt eingeführt, dann wären Stadionkonzerte wie das von U2 gar nicht mehr möglich. Das Publikum könnte die horrenden Preise, die längst fürstliche Ausmaße angenommen haben, gar nicht bezahlen. Bono und Co. müssten sich schleunigst andere Plattformen für ihr absurdes Polittheater suchen.“

Setzt man die Reise durch das Netzt fort stößt man auf Seiten, auf denen es heißt „Stopp der Überbevölkerung!!! 7 Milliarden Menschen sind genug!!!“ [4] Auf dieser Homepage zum Beispiel versucht ein einsamer, tapferer Krieger die Menschheit auf ihr größtes Problem aufmerksam zu machen:

„Es gibt im Moment ein großes Übel das auf unserer Erde für sehr viele, wenn nicht für alle katastrophalen Zustände verantwortlich ist: Die weltweite Überbevölkerung!!“

Immerhin weist der Autor diese Seite auch darauf hin, dass auch Länder „wie Österreich oder Deutschland abspecken“ müssen.

Denn hier liegt das eigentliche Problem an dieser Diskussion: Wieso denken wir immer, dass das „Problem“ in Afrika oder Asien zu finden ist? Wieso nehmen wir uns heraus zu sagen, dass es gefährlich sei, dass in China, Indien oder in Afrika „zu viele“ Menschen geboren werden.

Und gleichzeitig jammern wir in Deutschland, dass hier zu wenig Kinder auf die Welt kommen. Wir machen uns Sorgen, weil unser Rentensystem demzufolge nicht mehr funktioniert. Und wir zeigen mit dem Finger auf andere Länder und warnen.

Aber mit welchem Grund können wir uns dieses Recht herausnehmen?

Einen interessanten Artikel zu Thema Überbevölkerung habe ich in der aktuellen P.M.* gelesen (Ausgabe September 2005). Hier auf den Seiten 30 bis 33 ein Interview mit der Politikwissenschaftlerin und Historikerin Dr. Susanne Heim (49) abgedruckt. Frau Heim „gilt als Expertin für Bevölkerungspolitik“ und hat 1996 mit Ulrike Schatz das Buch „Berechnung und Beschwörung : Überbevölkerung – Kritik einer Debatte“ (ISBN: 3924737339, Schwarze Risse Buchhandels- und Verlags-GmbH) veröffentlicht. Im Vorwort zu diesem Buch heißt es [5]:

„Immer wieder fiel uns auf, dass den meisten Leuten die Rede von der „Überbevölkerung“ so selbstverständlich von den Lippen geht, als handele es sich um die Feststellung, dass die Erde rund ist oder die Sonne im Osten aufgeht. Diese Selbstverständlichkeit in Frage zu stellen und sichtbar zu machen, wovon die Rede von der „Überbevölkerung“ wirklich handelt, ist die Absicht, mit der wir dieses Buch geschrieben haben.“

Und auch in dem P.M.-Interview bekommt man eine Vorstellung, was Heim und Schatz mit dieser „Infragestellung“ meinen.

Auf die Frage von P.M. ob die Erde überbevölkert sei und den darauf folgenden Hinweis, dass „angeblich viele Probleme der Menschheit“ wie „Armut, Umweltverschmutzung, sogar Kriege“ mit der Überbevölkerung zu tun haben, antwortet sie:

„So ein Unsinn! (…) Armut, Umweltverschmutzung und Kriege (…) haben nichts mit der Zahl der Menschen zu tun.“

Sie nennt ein Beispiel:

„Das am dichtesten besiedelte Gebiet der Erde ist der Kleinstaat Monaco mit 16.000 Einwohnern pro Quadratkilometern. Aber das sind beileibe nicht die ärmsten Menschen der Welt, sondern die reichsten. Die Mongolei dagegen ist das am dünnsten besiedelte Land der Erde. Hier leben nur 1,6 Menschen pro Quadratkilometer – dennoch gilt die Mongolei als eines der armen Länder auf unserem Globus.“

Auch beim Thema Umweltverschmutzung sieht sie es ähnlich:

„Nicht die Länder mit dem höchsten Bevölkerungswachstum in Afrika und Asien sind die größten Umweltverschmutzer, sondern die Industrienationen (…), die ja fast alle über Geburtenmangel klagen.“

Stimmt irgendwie. Wieso weisen wir immer daraufhin, dass das Bevölkerungswachstum in anderen Ländern eine Gefahr für die Zukunft unserer Erde sind? Wir sagen zwar, dass „zu viele Inder und Chinesen“ eine Gefahr für die Umwelt darstellen und verdrängen dabei, dass wir, ja wir hier in Europa, wir in den entwickelten Industrienationen, die Welt zerstören. Wir verpesten die Luft. Wir betreiben Raubbau an Mutter Natur. Wir verseuchen Gewässer und Ländereien. Wieso sind dann die armen Länder in Asien und Afrika „das Problem“? Weil sie genau dasselbe Recht auf Wohlstand haben wie wir ihn haben? Weil sie uns nacheifern könnten? Ist das nicht ihr gutes Recht?

„In Europa und Nordamerika sind sinkende Geburtenraten schlecht, in Afrika und Asien dagegen sind sie nach Ansicht der Experten wünschenswert“ erzählt Heim weiter.

Und auf die Bemerkung von Seiten der P.M. „das liegt vielleicht daran, dass es schon jetzt jeweils über eine Milliarde Chinesen und Inder gibt“ meint sie:

„Ja, und? Haben die kein Recht auf eine Bevölkerungsdichte wie Monaco? Wenn man unterschiedliche Maßstäbe an die Geburtenraten anlegt, ist das kein Zeichen von Wissenschaftlichkeit, sondern ein Zeichen von Rassismus.“

Stimmt, von dieser Seite habe ich es bisher auch noch nicht gesehen. Wir sagen praktisch „Wir dürfen das, wir dürfen Wohlstand haben“ und wollen es im gleichen Atemzug Menschen anderer Nationen verwehren. Weil wir Angst um unsere Erde haben? Wahrscheinlich doch vielmehr, weil wir Angst um unseren Wohlstand haben und ihn „anderen“ Menschen nicht gönnen möchten. Und ja, diese Benachteiligung von Menschen hat doch einen Touch von Rassismus, oder?!

Die Theorie von der Überbevölkerung hat laut Susanne Heim „kaum etwas mit Wissenschaft zu tun, sondern ist eine Mischung aus diffusen Ängsten, Panikmache und rassistischen Grundelementen.“

„Schon allein das Wort `Überbevölkerung` ist ja ein Unding. Das beinhaltet doch die aussage, dass es irgendwo auf der erde zu viele Menschen gibt und dass die wegmüssen.“

Heim weist darauf hin, dass der Begriff `Überbevölkerung` nicht nur „emotionalisierend“, sonder zudem auch ungenau sei:

„Die Leute, die von Überbevölkerung sprechen, geben doch nie Relationen an. Meinen sie, es gibt zu viele Menschen im Verhältnis zur Zahl der Arbeitsplätze? Dann ist es aber kein Problem der Überbevölkerung, sondern ein Problem der Arbeitslosigkeit. Meinen sie, es gibt nicht genug Nahrung für so viele Menschen? Dann ist es Problem der Nahrungsmittelverteilung. Meinen sie, die Umwelt leidet darunter (…)? Dann ist es ein Problem der Umweltpolitik.“

Wow, ich sag ja, Frau Heim zeigt einem eine ganz neue Sichtweise. Es stimmt ja wirklich, dass wir die Überbevölkerung oder auch die Globalisierung immer als negativ und schlimm sehen. Dabei geht es aber immer nur um unser Wohl. Dass es anderen Menschen vielleicht dadurch besser geht, oder, dass anderen Menschen aus anderen Teilen der Welt, genau dieselben Rechte auf Luxus (wie wir) haben, vergessen wir. Nein, wir vergessen es nicht. Wir sind einfach nur zu egoistisch!

Im weiteren Verlauf des Interviews weist Heim darauf hin, dass die Prognosen über die Entwicklung der Bevölkerungszahl langfristig zu ungenau sei.

„Die Prognosen (…) können stimmen – oder auch nicht.“

Außerdem gäbe es Vorhersagen, nach denen die Zahl in 50 Jahren wieder zurück gehen werde. Aber:

„Viele Hochrechnungen sind das Papier nicht wert, auf dem sie stehen.“

Heim sieht das Problem der Nahrung nicht in der Produktion, sondern in der Verteilung:

“Während wir hier im Überfluss leben und Nahrungsmittel tonnenweise vernichtet werden, um die Preise hoch zu halten, verhungern Menschen in anderen Regionen der Welt.“

Auch beim Thema Energieressourcen kommt sie auf ein ähnliches Ergebnis:

„Wenn alle Menschen auf der erde soviel Energie verbrauchen würden wie wir, dann könnte ein Engpass entstehen. Im Moment ist (…) der Energieverbrauch eines Kindes in den Industrienationen (…) etwa 20-mal so hoch wie der eines Kindes in Afrika oder Asien. Aber auch das ist ja nicht ein Problem der Bevölkerungszahlen, sondern in erster Linie der Energiepolitik. Wir müssten eben anfangen, Energie zu sparen – und sie gerecht zu verteilen.“

Thema Umweltverschmutzung: Die Industrienationen belasten die Umwelt am stärksten.

„Wo nehmen wir das Recht her, den anderen zu verbieten, das genau so zu machen?“

Wir müssen uns eben auch um die Umweltpolitik kümmern und bei uns selber anfangen!

Beim Problem Armut weist sie darauf meint sie:

„mehr Menschen verbrauchen nicht nur mehr – sie produzieren auch mehr.“

Dabei weist sie aber auch daraufhin, dass sich dabei aber nicht alle Menschen einen solchen Lebenstandart wie wir, der Mittelstand in Europa, leisten können.

Im Hinblick auf die Veränderung der Alterspyramide in Deutschland, die nicht nur für das Rentensystem, sondern auch für die Infrastruktur ländlicher Regionen schwere Folgen haben wird nennt Heim eine Lösung:

„Es gibt in anderen Ländern genug junge Menschen, die diese Generationenlücke füllen könnten, doch dafür müsste man die Zuwanderungsgesetze ändern.“

Auch hier muss ich sagen: Susanne Heim hat recht! Wo liegt denn unser Problem, wieso lassen wir nicht Menschen aus anderen Ländern nach Deutschland. So wie wir uns das Recht nehmen, in Länder zu ziehen, in denen wir uns bessere Arbeitsbedingungen erhoffen, sollten wir auch Menschen aus anderen Erdteilen den Zugang nach Deutschland erleichtern. Im Endeffekt profitieren wir alle davon!

Aber stimmt ja, da gibt es ja noch eine weitere Angst in uns: die Angst vor „Überfremdung“:

„Wer sagt denn, dass eine gemeinde in Mecklenburg nur einen bestimmten Prozentsatz an Ausländern verkraften kann? Das hat nichts mit objektiven Kriterien zu tun, sondern mit subjektiven Empfindungen.“

„Es darf keinen gesetzlichen Zwang wie in China geben, aber auch keinen psychologischen Druck, wie ihn viele angebliche Hilfsorganisationen auf Menschen in den Entwicklungsländern ausüben.“

Abschließend fasst Susanne Heim noch mal zusammen:

Überbevölkerung „beschreibt nur unsere Ängste, die allzu leicht ein rassistisch gefärbtes Panik-Szenario auslösen.“

Ich muss sagen, dass ich nachdem ich dieses Interview gelesen hatte erst einmal etwas verwirrt war. Denn es beschreibt eine ganz andere Sichtweise, als die die ich bisher mit dem Begriff `Überbevölkerung` verbunden hatte. Und nach längerem Nachdenken und einigen Diskussionen mit Freunden und Bekannten kann ich Susanne Heim eigentlich nur zustimmen. Sie hat recht mit dem was sie sagt!

Und auch bei Wikipedia [1] findet sich diesbezüglich Kritik an der Theorie der Überbevölkerung:

„Da die Theorie der Überbevölkerung sowohl begrifflich als auch inhaltlich nahe legt, es gebe überflüssige Menschen, wird sie von einigen als menschenverachtend bewertet. Es wird bezweifelt, dass die Tragfähigkeit der Erde bereits erschöpft sei; vielmehr sei der Hunger, Arbeitslosigkeit und Artensterben in der Welt durch politische Fehlleistungen (…) verschuldet.“

Und auch hier wird darauf hingewiesen, dass ein Grund dafür, dass in reichen Ländern weniger, in armen Länder aber mehr Kinder geboren werden, ganz anderswo zu suchen ist. Demnach gibt es einen „Zusammenhang zwischen Armut und hoher Geburtenrat“:

„Grund dafür dürfte hauptsächlich sein, dass in armen Weltregionen die einzige Möglichkeit der Altersvorsorge ist, viele Kinder zu bekommen. Zum anderen sinkt in wohlhabenderen Gebieten der Einfluss traditioneller Lebensbilder – auch dies trägt zum Rückgang der Geburtenrate bei.“

Ich finde jetzt sind wir dran: Wir, die wir in unglaublichem Luxus leben und gelernt haben auf allerhöchstem Niveau zu jammern, sollten anfangen nachzudenken. Geht es uns denn wirklich so schlecht, wie wir immer denken? Und haben nicht alle Menschen dieser Welt dasselbe Anrecht auf ein solches Leben, wie wir es führen?!
Denken wir nach!

bluejax
Rottenburg, den 08. September 2005

*Die P.M. (Peter Mossleitners Magazin – Welt des Wissens) ist ein monatlich erscheinendes Magazin, dass sich mit vielen verschiedenen Themen hauptsächlich aus der Wissenschaft beschäftigt. Ich selber bin mit der P.M. groß geworden. Seit ich denken kann habe ich im Magazin geblättert und begeistert verschlungen. Die P.M. wird Herausgegeben im Gruner + Jahr Verlag und kostet im Handel 3€.

[1] http://de.wikipedia.org/wiki/%C3%9Cberbev%C3%B6lkerung
[2] http://www.wissenschaft.de/wissen/news/256196.html
[3] http://www.heise.de/tp/r4/artikel/20/20675/1.html
[4] http://members.telering.at/fritz.gollmann/
[5] http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3924737339/qid%3
D1126132807/302-9696157-7632015

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Erstveröffentlichung bei www.myblog.de/bluejax: 8.9.05 02:27
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