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Führt das verstärkte politische Engagement im Internet zur digitalen Spaltung der Gesellschaft?

Wir schreiben das Jahr 2009. In den USA wurde jüngst der erste „Internetpräsident“ vereidigt. Deutschland steht am Beginn eines „Superwahljahr“, mit etlichen Wahlen auf Landes- Bundes- und Europaebene. Die Politik drückt verstärkt ins Internet. Doch bei allem Hype, besteht dabei nicht auch die Gefahr der Digitalen Spaltung der Gesellschaft?!

Die Massenmedien und die wachsende Wissenskluft

In den 1970er Jahren wurde die Hypothese der wachsenden Wissenskluft („Gap in Knowledge“) geboren, die eine strukturelle Ungleichverteilung von Wissen besagt, ausgelöst durch die unterschiedliche (Nicht-)Nutzung von Massenmedien. Vereinfacht ausgedrückt wächst die Wissenskluft zwischen Menschen höherer Bildungsschichten und jenen Menschen niedriger Bildungsschichten umso stärker, je mehr Wissen über Massenmedien an die Gesellschaft transportiert wird.

Besser gebildete Menschen haben in diesem Prozess eine deutlich stärkere Möglichkeit, ihr Wissen weiter auszubauen, womit die Schere zwischen „Oben“ und „Unten“ weiter gespreizt wird. Die These der wachsenden Wissenskluft stellt also die Idee der Massenmedien in Frage, derzufolge die Medien durch das Bereitstellen von frei zugänglichen Informationen dazu führen sollen, die Menschen der höheren und niedrigeren Schichten auf ein gemeinsames Informationsniveau zu heben.

Als Gründe für diese steigende Kluft werden unter anderem eine höhere Kommunikationsfähigkeit, größeres Vorwissen, stärkere Diskurs- und Hinterfragungsfähigkeit und ein besseres Verständnis der oftmals „gehobenen“ Sprache von Journalisten sowie die Auffassungsfähigkeit der angetragenen Informationen durch bildungsaffinere Menschen genannt.

Das Internet und die Digitale Spaltung

Wechseln wir zurück ins 21. Jahrhundert, in eine Zeit, in der die traditionellen Massenmedien durch jene so genannten „Neuen Medien“ ergänzt (nicht abgelöst, siehe Rieplsches Gesetz) wurden. Aus der Hypothese der wachsenden Wissenskluft wurde inzwischen die Theorie der Digitalen Spaltung (Digital Divide)!

Ergänzend zu den in der Hypothese der wachsenden Wissenskluft bereits genannten Gründen, führen die ungleichen Möglichkeiten des Zugangs zu Internet und anderen digitalen Informations- und Kommunikationsmedien dazu, dass die Kluft zwischen bildungsaffineren und bildungsniederen Gesellschaftsschichten weiter vergrößert wird. Vereinfacht ausgedrückt: Menschen mit Zugang zum Internet und der Fähigkeit sich darin sicher zu bewegen, verfügen über eine größere soziale und wirtschaftliche Entwicklungschance. Noch einfacher ausgedrückt: Die (bildungs-)reichen Menschen werden (bildungs-)reicher, die (bildungs-)armen Menschen, (bildungs-)ärmer.

Zugegeben, sowohl die Hypothese der wachsenden Wissenskluft, als auch jene der Digitalen Spaltung sind in den Medien-, Kommunikations- und Sozialwissenschaften nicht unumstritten. Dennoch bin ich der Meinung, dass beide Thesen nicht zu vernachlässigen sind und durchaus ihre logische Berechtigung finden.

Die Politik und das Web2.0

Legen wir die genannten Hypothesen einmal beiseite, behalten sie im Hinterkopf und wenden wir uns der Politik, besser gesagt der Politik2.0 zu. Ausgelöst durch den fulminanten Erfolg von Barack Obama, der auch auf den geschickten Einsatz moderner Web2.0-Instrumentarien zurückzugführen ist, drängen Politiker weltweit verstärkt ins Internet. Hierzulande sind es insbesondere SPD-Politiker, die sich dieser Sache annehmen.

Da wird gebloggt, getwittert und gechattet; es werden Videochannels bei Youtube und Co. eingerichtet, Social Networks aufgebaut, Facebook-Profile angelegt und Live-Chats organisiert. Gerade in Anbetracht der diesjährigen Superwahlkampfzeit lassen die Politiker scheinbar nichts unversucht, sich der vielen Web2.0-Elemente zu bedienen, um damit möglichst eine ähnliche Erfolgsgeschichte zu schreiben wie Obama im vergangenen Jahr. Doch was sind die Folgen?

Die Online-/Offline-Studie von ARD und ZDF

Werfen wir einen Blick in die Ergebnisse der „ARD/ZDF-Onlinestudie 2008“ (Media Perspektiven 7/2008 [PDF]):

2008 sind 34,2 Prozent der deutschen Bevölkerung (=22,17 Mio. ab 14 Jahren) ohne Internetzugang bzw. Nutzung
– 73,6 Prozent der über 60-Jährigen sind nicht im Internet aktiv
– 66,8 Prozent der Nicht-Berufstätigen bzw. Rentner sind nicht im Internet aktiv
– 53,3 Prozent der formal geringer Gebildeten sind nicht im Internet aktiv
– 40,4 Prozent der Frauen sind nicht im Internet aktiv
– 27,6 Prozent der Männer sind nicht im Internet aktiv

In Worten: Während nur 14,2 Prozent der Deutschen mit einem universitären Abschluss und 8,4 Prozent derjenigen mit Abitur ohne Internetzugang ist, liegt der Anteil bei jenen mit einem Hauptschul-/Volkshochschulabschluss bei 53,3 Prozent. Die Offlinerate bei Berufstätigen beträgt 18,2 Prozent, die der Nicht-Berufstätigen 66,4 Prozent.

Die Gründe für die Nichtnutzung des Internets

Weiter heißt es, dass „lediglich“ (Zitat) jeder fünfte der Nicht-Internetnutzer für die eigene Offline-Aktivität angibt er „habe niemanden, der mir den Einstieg ins Internet erleichtert“; 38 Prozent meinen sogar „ich traue mir die Benutzung des Internets nicht zu“; 46 Prozent meinen „Anschaffungskosten für einen PC sind mir zu hoch“; 42 Prozent sagen „die monatlichen Kosten für die Nutzung des Internets sind mir zu hoch“.

60 Prozent der Offliner haben das Gefühl „das Internet benutzt Sprache und Begriffe, die ich gar nicht verstehe“ und 59 Prozent meinen „das Internet bietet zu viele Informationen, das kann man gar nicht mehr bewältigen“.

Der „Digital Divide“ durch die Politik im Internet

Was ich mich nun allerdings frage, ist, ob das verstärkte politische Engagement im Internet nicht die Digitale Spaltung der Gesellschaft weiter verstärkt!?! Wenn Politiker vermehrt ins Internet drängen, sich dort engagieren, positionieren und präsentieren, führt dies letztlich nicht dazu, dass die bildungsstärkeren Menschen (siehe Ergebnisse der ARD/ZDF-Onlinestudie) ein umfassenderes Bild von Politik und insbesondere der agierenden Personen dahinter erhalten und die Menschen mit formal niedrigerer Bildung aufgrund des mangelnden Internetzugangs und/oder Verständnisses des Netzes dabei außen vor bleiben?

Oder um es überspitzt auszudrücken: Wenn die SPD auf einmal einen Online-Wahlkampf startet, besteht dann nicht die Gefahr, dass ein Teil der traditionellen Wählerklientel – die „Arbeiter“ – nicht erreicht wird, weil diese gar nicht erst im Internet aktiv ist bzw. sich darin nicht zurecht findet?! Ist man irgendwann nur noch dann in der Lage Politik und Politiker – oder um beim Beispiel zu bleiben, die SPD – zu verstehen, wenn man über einen Onlinezugang und damit einhergehend auch über die Orientierung im Internet verfügt? Schließt man damit nicht bildungsschwache Schichten der Gesellschaft von der politischen Diskussion aus? Findet dadurch nicht eine (falsche) Selektion von Wählerschichten statt? Werden bildungsschwache Wählerschichten damit nicht unter Umständen zu Parteien getrieben, die dieselbe (Offline-)Sprache sprechen?

Ich weiß, dass Politik heute (noch) nicht ganz im Netz stattfindet, dass auch weiterhin in Print, Rundfunk und im Fernsehen agiert wird. Dies wird auch in absehbarer Zukunft weiterhin so bleiben. Dennoch stellt sich für mich durchaus die Frage, ob die Digitale Spaltung der Gesellschaft, also die wachsende Wissenskluft durch das Streben der Politik und Politiker ins Netz, nicht doch enorm verstärkt wird. Die einen (bildungstarken) werden vielleicht das Gefühl erhalten, näher an die Politik heranzurücken. Werden aber nicht die anderen (bildungsschwachen) Menschen gleichzeitig das Gefühl haben, dass sich die Politik von Ihnen noch weiter entfernt?!

Die Gefahr der „Schweigespirale“

Um das (theoretische) Rad noch ein bisschen weiterzudrehen: Wenn Politik im Internet stattfindet, besteht nicht auch die Gefahr der Schweigespirale nach Elisabeth Noelle-Neumann, indem die bildungsschwachen Gesellschaftsschichten zum Schweigen animiert werden und zum stillen Zustimmen der im Internet auftretenden Meinungsäußerungen von den dort wahrgenommenen bildungs- und internetaffinen Menschen gezwungen sind?!

Denn „unabhängig vom Thema, unabhängig von Überzeugungen reden die einen lieber und die anderen ziehen es vor zu schweigen.“ Als Konsequenz ergibt sich, dass man nur die Einstellungen derjenigen wahrnimmt, welche nicht schweigen, auch wenn dies nur der kleinere Teil ist. So kann es durchaus sein, dass man die öffentliche Meinung als herrschende Meinung definiert, obwohl dem nicht so ist. Dabei wird ein Prozess in Gang gesetzt, der sich wie ein Teufelskreis fortsetzt: „Die eine Meinung begegnet ihm immer häufiger und selbstbewusster, die andere ist immer weniger zu hören. Je mehr Individuen diese Tendenz wahrnehmen und sich anpassen, desto stärker scheint das eine Lager zu dominieren und das andere auf dem absteigenden Ast. Somit kommt (…) ein Spiralprozess in Gang, der eine Meinung immer fester und fester als herrschende Meinung etabliert.“ (Noelle-Neumann 1979: 173) Menschen sind insofern in ihrem Verhalten nichts anderes als Herdentieren: „den Kontakt mit dem Schwarm verlieren könnte Lebensgefahr bedeuten“. Deswegen lenkt das Individuum ein und schließt sich dem Schwarm an. Noelle-Neumann bezeichnet sie hier auch als Gattung der „Massenmenschen“. (Noelle-Neumann 1979: 163)

(Quelle: Jan M. Rechlitz)

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