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Stell dir vor du wirst verprügelt und die Polizei schaut zu – Ein Albtraum? Nein, Wirklichkeit!

Eine Stadt im östlichen Teil von Sachsen, gelegen am Rande des Elsandsteingebirges, da wo die Wesenitz von Norden und die Gottleuba von Süden her in die Elbe münden. Direkt an der Sächsischen Weinstraße gelegen, betroffen von der Jahrhundertflut im August 2002. Dort ist das Tor zur Sächsischen Schweiz. Dort ist das Tor zur rechten Gewalt.

Die Rede ist von der Stadt Pirna. Einer Stadt mit etwa 40.000 Einwohnern, die im Norden an die sächsische Landeshauptstadt Dresden grenzt. Eine Stadt, die auf den ersten Blick ganz normal zu sein scheint. Eine Stadt, die aber ein dunkles Geheimnis trägt. Wo Recht und Ordnung nicht mehr gewährleistet scheinen, die Polizei seine Bürger nicht schützen will, oder nicht schützen kann. Eine Stadt in den Klauen einer braunen Seuche. Die Stadt der Nazis.

Als ich vor einigen Tagen mal just for fun den Namen dieser Seite gegoogelt habe bin ich auf einen Blog aus Ilmenau gestoßen. Unter http://nyblog.de fand ich einen Link zu einem Beitrag, den der RBB am 28. Juli 2005 im Fernsehmagazin Kontraste unter dem Titel „Bei Notruf in der Warteschlange – Polizei in Pirna liefert Bürger gewalttätigen Rechtsextremisten aus“ ausstrahlte. Geht auf http://www.rbb-
online.de/_/kontraste/beitrag_jsp/key=rbb_beitrag_2919956.html
und schaut euch das Video an. Ihr werdet schockiert sein und den glauben an die Staatsgewalt, an die Polizei als Ordnungsmacht verlieren. Denn was in dem Beitrag ans Licht kommt scheint grausame Realität zu sein.

Kontraste zufolge spielt sich in Pirna schon seit längerem Ungeheuerliches ab: da werden laufend Bürger – Jugendliche, Erwachsene, Deutsche, Ausländer – von Neonazis verfolgt, bedroht, verprügelt. Und die Polizei tut: NICHTS!!! Ja, ihr habt richtig gelesen, die Polizei fühlt sich nicht zuständig, schaut dem ganzen Treiben zu und unterstützt es somit indirekt. Es ist unglaublich, aber scheinbar kann man selbst wenn man in einer Gefahrensituation die Polizei um Hilfe bittet, sich nicht auf sie verlassen.

Ein Blick auf http://de.wikipedia.org/wiki/Polizei lehrt uns folgendes über die grüne Truppe:

„Die Polizei ist ein Exekutivorgan eines Staates. Sie hat (…) die Aufgaben, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten und als Strafverfolgungsbehörde zu ermitteln. (…) In der erstgenannten Funktion kommt ihr dabei oft die Rolle einer Notfallhilfe mit eigenem Notruf zu.“

Soweit die Theorie. In den meisten Teilen Deutschlands scheint dies auch mehr oder weniger gut zu funktionieren. Aber in einigen Teilen (und da zähle ich Thüringen nach den gemachten Erfahrungen auch hinzu, wenn auch nicht so krass wie in diesem Fall hier) scheint die Polizei nicht über ihre Funktion und über ihre Aufgaben informiert zu sein.

Kann es denn wirklich sein, dass Jugendliche in Pirna die Polizei um Hilfe bitten, weil gerade eine gewaltbereite Horde Neonazis vor ihnen steht und die Polizisten keine Zeit haben? Kann es sein das man die Polizei anruft und zu hören bekommt man wolle sich in Jugendliche Kleinigkeiten nicht einmischen und damit die Notrufenden ins Krankenhaus einliefern lässt? Und kann es sein, dass ein Polizeidirektor, der mit diesen Fakten konfrontiert wird, dennoch versucht alles abzustreiten? Nein, bis vor kurzen hätte ich so etwas für schier unmöglich gehalten. Eigentlich halte ich es immer noch für unmöglich. Aber was da in dem Beitrag von Kontraste berichtet wird scheint das Gegenteil zu bestätigen. Eine Polizei, die sich den Neonazis unterzuordnen scheint. Eine Polizei, die die rechte Gewalt duldet und akzeptiert. Eine Polizei, die friedliche Bürger opfert. Das ist Leben in Deutschland anno 2005. Das macht Angst. Und wer schützt die friedvolle Bevölkerung vor rechtsextremen Übergriffen?
Immerhin scheinen nun die Politiker wach zu werden. Vor einigen Tagen traf sich Pirnas Oberbürgermeister Markus Ulbig (CDU), mit dem Staatssekretär des Sächsischen Innenministeriums, Jürgen Staupe, und dem Inspekteur der Polizei Helmut Spang. [vgl. http://aktion-zivilcourage.net/]

Man scheint langsam aus der Lethargie aufzuwachen und etwas ändern zu wollen. Offiziell zumindest. Man einigte sich darauf den „Informationsaustausch zu intensivieren und bei konkreten Ereignissen die Kräfte stärker zu bündeln.“ Na ja, viele hätten sich sicherlich mehr erhofft. Aber immerhin, die Verantwortlichen scheinen sich über das Thema Gedanken zu machen. Und: „In drei konkreten Fällen ermittelt die Staatsanwaltschaft Dresden gegen Beamte wegen des Verdachts der Strafvereitelung im Dienst.“ Auch wenn man beileibe nicht alle Polizisten in Frage stellen sollte – ich bin überzeugt davon, dass fast (!) alle Beamten ihre Aufgaben kennen, die Bürger schützen, für Ordnung sorgen und Leben retten – so ist dies doch wohl mehr als nur ein Indiz dafür, dass an den Geschichten in Pirna etwas dran ist.

Schneller als alle Politiker und Verantwortlichen sind die Jugendlichen aus dem betroffenen Landkreis Sächsische Schweiz, die sich vor den rechtsextremistischen Übergriffen fürchten müssen: 30 Jugendliche im Alter zwischen 15 und 26 Jahren riefen die Initiative „Aktion Zivilcourage“ ins Leben (http://aktion-zivilcourage.net/). Sie setzen sich mit dem Thema auseinander, „erarbeiten Projekte, um das Demokratieverständnis unter Jugendlichen zu verstärken“ und versuchen „die Probleme Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit zu thematisieren.“

Die Jugendlichen agieren somit äußerst positiv und vorbildlich. Sie zeigen Mut und haben alle Unterstützung und allen Respekt verdient. Wobei, eigentlich sollte so etwas ja selbstverständlich sein. Ist es aber nicht. Leider!

Es gibt viele, viel zu viele, Menschen, die leider immer noch viel zu oft wegsehen. Die die Gefahr verkennen; die wegschauen; denen es gleichgültig zu sein scheint; die den Mund halten. Aber wird das helfen?

Wie sagte ein von Kontraste interviewter Vater, dessen Sohn von über 20 vermummten Neonazis verprügelt wurde: „diejenigen die jetzt glauben, `na gut, mir passiert ja nichts`, die sollen sich mal nicht zu früh freuen, das kann ganz schnell passieren, da sind sie genauso mit dran!“

bluejax
Rottenburg, den 21. August 2005

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Erstveröffentlichung bei www.myblog.de/bluejax: 21.8.05 19:06
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