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Stuttgart gegen gegen Rechts? – Ein durchgestrichenes Hakenkreuz und seine Folgen

Kleine Quizfrage: Was bitte schön bedeutet dieses Zeichen?

„Nazis raus“, „Gegen Rassismus“, „Gegen Faschismus“, „Gegen Rechtsextremismus“, „Gegen Nationalsozialismus“, „Nie wieder Nazis“, „Gegen Antisemitismus“,…

Sicher? Bist du dir da ganz sicher? Na ja, zumindest die Stuttgarter Staatsanwaltschaft hat hier so ihre Zweifel. Sie befürchtet nämlich, dass man dieses Zeichen falsch interpretieren könnte. Ja, sie ist sogar der Auffassung, Ausländer würden dieses Zeichen falsch verstehen und könnten zwischen einem Hakenkreuz als Zeichen für den Nationalsozialismus und diesem Zeichen hier nicht unterscheiden.

Unglaublich? Nein, das ist Realität hier in Baden Württemberg!

„Ein Freispruch erster Klasse“ titelte das Schwäbische Tagblatt am vergangenen Freitag, den 17. März 2006 in ihrem Tübinger Regionalteil.

Der Artikel berichtete von einem Vorfall, den das Tübinger Landgericht, die Lokalpresse und die Menschen der Region in den vergangenen Monaten erregte. So wurde ein mittlerweile 22-Jähriger Student beim Maisingen 2005 aufgegriffen. Sein vergehen? Er trug obiges Zeichen, ein durchgestrichenes Hakenkreuz.

„Im November hatte das Amtsgericht gegen ihn […] wegen `Verwendung von Kennzeichen einer verfassungswidrigen Organisation` eine Verwarnung unter Strafvorbehalt ausgesprochen.“ (Quelle: Schwäbisches Tagblatt, 17.03.06)

Sensibilisierung & Diskussion ist gut – aber hier wurden die Falschen bestraft!

Ja im Ernst, man hatte den Studenten wirklich deswegen vor Gericht gestellt, weil er ein Zeichen trug, welches – nach Auffassung der Staatsanwaltschaft – dem Nationalsozialismus huldigt, aber ganz offenkundig dagegen propagiert und sogar davor warnt! Vielleicht sollte jemand von der Staatsanwaltschaft mal mit einem durchgestrichenen Hakenkreuz auf ein Nazi-Konzert gehen. Mal schau`n, deren Argumentation zu Folge, dürften sie ja dann ganz schön viele neue Freunde bekommen!

Auch der „Faire Kaufladen“ in Tübingen geriet daraufhin ins Visier der Ordnungshüter. Denn in dessen Schaufenster wurden Buttons zur Schau gestellt, auf denen ein Hakenkreuz zu sehen war, durchgestrichen mit roter Farbe. Doch hier gab es laut Schwäbischem Tagblatt einen Fall „mit Präzedenz-Charakter“: Denn das Tübinger Landgericht entschied, dass der Verkauf durchaus legitim sei, „denn deren ablehnende Haltung sei eindeutig.“ (Quelle: Schwäbisches Tagblatt, 17.03.06)

Stuttgart gegen gegen Rechts?

Allerdings erreichte diese Entscheidung scheinbar nicht die “Provinz-Fürsten“ in Stuttgart. Denn die dortige Staatsanwaltschaft „ging seither in ähnlichen Fällen rigide vor, bestätigt von Staatsschützern am Stuttgarter Landgericht.“ (Quelle: Schwäbisches Tagblatt, 17.03.06)

Aha, von „Staatsschützern“ bestätigt. Wofür bitte schön sind Staatschützer da? Vor wem wollen sie denn den Staat schützen? Vor Leuten die gegen Nationalsozialismus und damit gegen Rechte Gewalt, gegen Rassismus und gegen Rechtsextremismus demonstrieren? Hallo, hat da jemand ein paar Jährchen verschlafen? Nur zur Information: Wir schreiben das Jahr 2006!

Schon zu NS-Zeiten ein Zeichen gegen die Nazis

Denn „laut Anwalt Burkhard Gaedke malte in der NS-Zeit Widerständler Hans Scholl durchgestrichene Hakenkreuze auf Wände – damals eine eindeutige Aktion.“ (Tagblatt)

Und gegen solche Menschen wollen die Herren Staatsschützer also vorgehen!? Ja klar, die könnten dem deutschen Staate natürlich gefährlich werden. Wie, muss ich das jetzt wirklich verstehen? Ich bin mir hier nicht sicher, wer dem deutschen Staate hier wirklich gefährlich wird!

Auch der Student, der das durchgestrichene Hakenkreuz in Tübingen offen zur Schau trug, zeigt sich irritiert und überrascht: „Ich hatte ihn die ganze Oberstufe am Rucksack. Mir war nicht klar, dass man das missverstehen kann.“ (Tagblatt)

Genau, kann man ein mit roter Farbe durchgestrichenes Hakenkreuz missverstehen? Oberstaatsanwalt Michael Pfohl sorgt sich um die japanischen Touristen. Überhaupt hat er Angst, dass Ausländer dieses Symbol missverstehen könnten.

Rot als Farbe der Warnung und Gefahr!

Müsste man dann eigentlich nicht auch die gesamte Straßenverkehrsordnung, vielmehr deren Schilder in Frage stellen? Denn woher soll denn ein Ausländer wissen, dass eine 50 in einem roten Kreis nicht dafür steht, mindestens 50 Km/h zu fahren? Denken Japaner wenn sie ein Schild sehen, auf dem eine qualmende Zigarette zu sehen ist, die mit einem roten Balken durchgestrichen wurde, dass hier der Raucherbereich ist?

Ein Blick in die Farbenlehre bei Wikipedia sagt uns, dass es neben Feuerwehr- und Krankenwagenrot auch das „Signalrot“ gibt. Was dies bedeutet? „Verbotszeichen (DIN 5381).“ Und überhaupt ist Rot als Warnfarbe bekannt. Und das nicht nur hier in Deutschland oder in der Fauna und Flora.

Ein Verbotsschild will verbieten – nicht erlauben!

Zumindest englischsprachige Besucher dürften ein mit einem roten Balken durchgestrichenes Hakenkreuz verstehen. Gibt man bei Google die Begriffe „No Smoking“ ein erscheint – oh Schreck, oh Schreck: eine qualmende Zigarette, die – genau – mit einem roten Streifen durchgestrichen ist.

Und wer dann bei Google die Bildersuche nach „Fuck Fascism“ beantragt, der bekommt unter anderem auf der ersten Seite was? Genau: Ein durchgestrichenes Hakenkreuz. Aber es könnte ja ein Nazisymbol sein, wer weiß, wer weiß. Na ja, zumindest die Quelle des Symbols lässt auf Gegenteiliges schließen, es liegt nämlich bei Indymedia!

So, die Stuttgarter Staatsanwaltschaft stellt also all dies in Frage und befürchtet allen ernstes, dass viele ausländischen Besucher und Mitbürger ein durchgestrichenes Hakenkreuz missverstehen könnten.

Zumindest das Tübinger Landgericht hat mittlerweile eingelenkt. So wurde der Student im Berufungsverfahren frei gesprochen. Mal sehen, was die Stuttgarter „Staatsschützer“ zu diesem Urteil sagen.

Andere Städte, andere Sitten

Übrigens gab es im vergangenen Jahr in Erfurt eine große Gegendemonstration gegen einen Aufmarsch der NPD und deren Gesinnungsgenossen. Dabei zeigten Tausende Erfurter Farbe und bekannten sich gegen Rechtsextremismus und gegen Rassismus. Auch verschiedene Institutionen und Organisationen unterstützen die Gegendemonstration. So wurden an etlichen Kirchtürmen (und glaubt mir, Erfurt hat unzählige davon!) sowie am Rathaus riesen große weiße Banner installiert. Was drauf war? Strichmännchen, die ein Hakenkreuz in einen Mülleimer werfen. Glaubt ihr, jemand hatte damals Angst, es könnte missverstanden werden, geschweige denn die Kirchen und die Stadt Erfurt angezeigt und verklagt?

Wobei ich ehrlich sagen muss, dass ich damals auch etwas darüber grübelte, ob man diese Plakate nicht auch falsch verstehen konnte. Aber es zeigte sich, dass alle die Symbolik verstanden und wussten, dass es als Zeichen gegen Rechts gedacht war! Ein mit roter Farbe durchgestrichenes Hakenkreuz ist hier meiner Meinung nach noch eindeutiger!

“Wissenschaft ist das, was Wissen schafft!“

Ach ja, um all jenen, die vielleicht denken, dass der Student vielleicht doch ein verkappter Nazi sei und nur als Tarnung (weil weniger auffällig) ein durchgestrichenes Hakenkreuz trägt, den Wind aus den Segeln zu nehmen: Was denkt ihr, was der gute Mensch studiert? Soll ich es euch sagen? Er studiert in Tübingen Politikwissenschaft. Schwerpunkt? Nationalsozialismus! Auf der einen Seite ein angehender Wissenschaftler mit dem Schwerpunkt Nationalsozialismus, der vor den Nazis warnen will und seine Stimme gegen Rechtsextremismus und gegen Rassismus erhebt. Und auf der anderen Seite ein paar ergraute Herren in ihren Großstadtbüros, die ihn dafür vor Gericht stellen.

Und fast hätte ich es vergessen: Als ich vorhin mit dem Auto fuhr berichtete SWR1, dass die Bundes-Vorsitzende der Grünen, Claudia Roth, sich heute bei der Stuttgarter Staatsanwaltschaft selber angezeigt hat. Der Grund? Sie hätte ein möglicherweise verfassungswidriges Symbol getragen: Ein durchgestrichenes Hakenkreuz!

bluejax
Rottenburg, den 21. März 2006

Quellen und Links:
http://www.linke-t-shirts.de/images/buchcover/DLF74.jpg
http://tagblatt.de/
http://www.der-faire-kaufladen.de/
http://tagblatt.de/
http://de.wikipedia.org/wiki/RAL-Farbsystem
http://de.wikipedia.org/wiki/Tiere
http://de.wikipedia.org/wiki/Pflanzenwelt
http://www.google.de/search?hl=de&q=no+smoking&btn
G=Google-Suche&meta=
http://www.lapietra.edu/hitechquestjr/chloe/images/no-
smoking.jpg
http://images.google.de/images?svnum=10&hl=de&lr=
&q=fuck+fascism+&btnG=Suche
http://www.indymedia.org.uk/icon/2005/04/309828.jpg
http://de.wikipedia.org/wiki/Indymedia
http://www.bluejax.net/2006/03/12/theater-kunterbunt-%
e2%80%93-erfurt-wehrt-sich-gegen-die-braune-seuche/
http://www.swr.de/swr1/
http://de.wikipedia.org/wiki/Claudia_Roth

Nachtrag: 23. März 2006 ca. 12.30h
Gerade eben habe ich gesehen, dass nun auch Spiegel-Online sich dem Thema angenommen hat. Bei SpOn findet ihr den Artikel „Prozess Grotesk – Vor Gericht wegen eines Anti-Nazi-Symbols“ von Antonia Götsch!

Quellen und Links 2:
http://www.spiegel.de
http://www.spiegel.de/unispiegel/wunderbar/0,1518,407112,00.html