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Winnetou, seine Mokassins und die Spiegel im Kopf

Als kleiner Junge war ich ein großer Indianer-Fan. Mein Vater hatte in seinem Regal sämtliche Bücher von Karl May und er schwärmte mir regelmäßig davon vor, wie er diese als Jugendlicher in den Nächten verschlungen hat. So war es auch nicht sonderlich verwunderlich, dass ich ausgehend von diesen Abenteuergeschichten selbst eine Faszination für Indianer und indigene Kulturen aufbaute und einige ihrer Vertreter zu den größten Helden meiner Kindheit avancierten. Dazu zählten auch Winnetou und Old Shatterhand.

Eine der für mich prägendsten Weisheiten, welche ich seinerzeit bei der intensiven Auseinandersetzung mit den indigenen Ureinwohnern Amerikas gelernt habe, war dieses hier:

„Großer Geist bewahre mich davor, über einen Menschen zu urteilen, ehe ich nicht einen Mond in seinen Mokassins gegangen bin.“

Old Shatterhand hat eben genau das getan. Er hat lange mit den Indianer zusammen gelebt und gelernt, sich mit den Mokassins der Indianer zu bewegen. Er hat in dieser Zeit nicht nur enge Freundschaften zu den Indianer aufgebaut, sondern er hat sie vor allem zu verstehen gelernt. Ihre Kultur; ihre Werte; ihre Denkweise. Und ihre Probleme. Sie haben ihn bei sich aufgenommen und er hat anschließend für sie gekämpft. Er hatte gelernt aus ihrer Perspektive zu denken und ihren Standpunkt zu verstehen. Es entstand eine Blutsfreundschaft bis in den Tod.

Die Idee mit den Mokassins, die funktioniert auch heute noch. Perspektivübernahme ist heute eine etablierte Technik in der Sozialpsychologie. Der Versuch, sich in jemand anderes hineinzuversetzen, um die Welt aus anderen Blickwinkeln zu betrachten und der Lösung von Problemen so besser auf die Spur zu kommen.

Rollenspiele und Weiterentwicklung

Ein viertel Jahrhundert nach dieser Kindheitsbegeisterung für Winnetou und Old Shatterhand mache ich heute irgendwas mit Medien und Kommunikation. Und ich verdiene mein Geld tatsächlich auch damit, dass ich hin und wieder Geschichten erzähle. Diese Geschichten handeln oftmals von Reisen, von fernen Ländern, aber hin und wieder auch von den Superhelden meiner Kindheit.

Ich habe mein Wirken immer als eine niemals endende Reise gesehen, auf der ich mir verschiedene Mokassins angezogen habe, um nicht nur Schritt für Schritt voranzukommen, sondern gleichzeitig auch immer wieder frischen Input aufzusaugen, neues Verständnis aufzubauen und zusätzliche Kompetenzen anzueignen. Die Reise begann in der Schule, führte mich über meinen pädagogischen geprägten Zivildienst in Jugendhaus und Grundschulförderklasse zum Studium der Medien- und Kommunikationswissenschaft an die TU Ilmenau und anschließend für sieben Jahre in die Kreativbranche, wo ich mit meinen Stationen im Projektmanagement, der Konzeption, der Beratung für Social Media & digitale Kommunikation, der Digitalstrategie sowie der Beratung für digitale Transformation fortlaufend darauf angewiesen war, mich und meine Rolle immer wieder selbst neu zu erfinden.

Inzwischen konzentriere ich mich darauf, die verschiedenen Facetten zusammenzuführen und miteinander zu verknüpfen. Dabei schlüpfe ich von Aufgabe zu Aufgabe und Projekt zu Projekt in unterschiedliche Rollen und Perspektiven, die ich aufgrund meines individuellen Werdgangs und meiner vielfältigen Kompetenzen inzwischen ausfüllen kann. Dabei agiere ich oftmals als sowas wie ein Mittler, der zwischen den verschiedenen Disziplinen und Gewerken fungiert und um die Sicherstellung eines gegenseitigen Austauschs bemüht ist. Dadurch, dass ich vorher jahrelang in verschiedenen Disziplinen tätig war, fällt es mir dabei leichter, mich in die verschiedenen Perspektiven hineinzuversetzen, um einen übergreifenden und stringenten roten Faden zu spinnen und gleichzeitig immer wieder auf Sinnhaftigkeit einzuwirken. Dies führt nicht nur zu einem höherem Maß an Verständnis, sondern auch zu Akzeptanz.

Auf fortwährender Welten-Reise

Auf meine Reisen durch die verschiedenen (Perspektiv-)Welten nehme ich inzwischen eine zunehmend größere Zahl von Reisebegleitern mit. Reisebegleiter, das sind mal meine von mir sehr geschätzten Kolleginnen und Kollegen, aber auch immer mehr Kunden. In gemeinsamen Workshops versuche ich Hierarchien und weitere Einschränkungen aufzulösen und die Teilnehmer, ganz gleich, welchen Hintergrund, welche Vorerfahrungen und welchen fachlichen Schwerpunkt sie haben, in diese verschiedenen Perspektiven tiefer eintauchen zu lassen.

Die Idee ist es, nicht in fachlich oder organisatorisch abgeschlossenen Einheiten (Disziplinen, Abteilungen, Unternehmen u.ä.) auf ein einzelnes Themenfeld fokussiert Aufgaben abzuarbeiten, sondern in einer gemeinsamen Arbeitsebene zusammen Lösungsansätze nutzerorientiert zu entwickeln. Es steckt wohl einiges von dem drin, was man gemeinhin auch unter den Methoden des Design Thinking oder des Service Design subsumiert. Und es finden sich sicherlich auch jene Aspekte wieder, die ich im vergangenen Jahrzehnt privat, wissenschaftlich und beruflich als Erfolgsfaktoren von Social Media nicht nur kennengelernt, sondern inzwischen auch dauerhaft verinnerlicht habe.

Bei den auf diesen Prinzipien basierenden Prozessen, für die ich die didaktischen Konzepte entwickle und die sich oftmals auch in so genannten “Co Creation-Workshops” manifestieren, werden Nutzer, Kunden, aber auch verschiedene Dienstleister u.ä. bei der Entwicklung von Kommunikationslösungen auf Augenhöhe aktiv eingebunden, um “out of the box”-Adaptionen zu vermeiden und stattdessen gemeinsam personalisierte und individuell zugeschnittene Lösungen zu entwickeln. Der in sich geschlossene statische Entwicklungsprozess von Fachteams im stillen Kämmerchen wird so zum offen gestalteten dynamischen Entwicklungsprozess in interdisziplinär zusammengesetzten Arbeitsgruppen. Nutzer und Kunden werden dabei von Beginn an in die Verantwortung genommen und erhalten nicht mehr ausgearbeitete Konzepte, zu denen sie lediglich Feedback zu Überarbeitung und Optimierung geben, sondern sie werden bei der Entwicklung der Konzeptansätze von Beginn an mit ihren verschiedenen Expertisen und Blickwinkeln für Produkt, Unternehmen & Nutzerbedürfnisse aktiv mit eingebunden. Nicht zuletzt geht es darum, durch das Eintauchen in unterschiedliche Perspektiven nachhaltiges Verständnis untereinander zu schaffen, so nachhaltig voneinander zu lernen und nichtzuletzt in der Folge nutzerzentriert – oder: aus Sicht des Nutzers – zu entwickeln.

Gerade die Nutzerzentrierung ist dabei für mich ziemlich entscheidend. Egal, ob es um die Entwicklung einer Kommunikationslösung, eines Services oder eines Produktes geht, das Ergebnis muss vom Nutzer als relevante Information bzw. als wirklicher Mehrwert wahrgenommen und “genutzt” werden. Deswegen habe ich mich auch in den Begriff des “Nutzers” verliebt, denn schlussendlich sollte eine Kommunikationslösung o.ä. nicht der Kommunikationslösung o.ä. selbst wegen entwickelt werden (geschweige denn des Profits wegen!), sondern einen tatsächlichen Wert haben. Und idealerweise landen die am Ende des Entwiclungsprozesses resultierenden Angebote nicht bei passiven Rezipienten, die es sich bestenfalls anschauen, sondern bei aktiven Nutzern, die sie als so relevant und hilfreich erachten, dass sie zur “Nutzung” bereit sind (in welcher Form auch immer).

Was beim Nutzer enden soll (Nutzung), muss auch beim Nutzer beginnen (Beobachtung) und sollte auch währenddessen schon immer wieder vom Nutzer überprüft werden (Testing).

Jan M. Rechlitz

Um dies zu erreichen ist es unumgänglich, sich zuvor tiefer mit den wirklichen Bedarfen und Bedürfnissen der (potentiellen) Nutzer auseinanderzusetzen und dabei Motive und Motivationen für die “Nutzung” zu identifizieren, aufzuschlüsseln und zu verstehen. Qualitative Interviewgespräche und insbesondere die Beobachtung von Nutzern sind dabei vielversprechende Ansätze, deren Ergebnisse sich anschließend in Mental Models, Persona, Use Cases und so weiter für die weitere Arbeit anschaulich überführen lassen. Auch Rollenspiele können dabei helfen, einen Perspektivwechsel vorzunehmen und sich tiefer in eine andere Betrachtungsweise hineinzuversetzen. So lassen sich Erwartungen und Pain Points verinnerlichen und eigene Schwächen und Gaps aufdecken, ohne Gefahr zu laufen, am Nutzer vorbei zu denken. Strategische Rahmen sind für Stringenz und Erfolg unerlässlich, sollten aber möglichst auf vorangegangener authentischen Nutzerstudien beruhen.

Die Sache mit den Spiegelneuronen

Wesentlicher Aspekt hierbei als auch in der Beziehung zwischen Winnetou und Old Shatterhand ist die Fähigkeit zu Empathie. Empathie, also die Fähigkeit von Menschen die Emotionen, Gedanken, Handlungen Denkweisen anderer Menschen zu erkennen, zu verstehen und darauf zu reagieren, ist für mich ohnehin eine der wichtigsten Zaubermittel unserer Zivilisation.

Wir alle kennen jene Situationen, in denen wir uns vom Gähnen oder Lachen anderer Menschen “anstecken” lassen; in denen wir bei bestimmten Filmsequenzen eine Träne verdrücken, uns fürchten, erschrecken, freuen oder Gänsehaut bekommen. Es ist die Fähigkeit, sich in die Perspektive anderer Menschen hineinzuversetzen und die jeweilige Situation nachzuempfinden, die bei uns automatisch und intuitiv jene Empfindungen auslöst.

Wissenschaftler haben inzwischen den Grund für diese Fähigkeit zu Empathie gefunden. So sitzen in unserem Gehirn bestimmte Nervenzellen, welche die Situationen und Empfindungen anderer “spiegeln” und unserem Körper vortäuschen, wir befänden uns in eben jener Situation. Die Forscher haben diesen Nervenzellen folgerichtig den Namen “Spiegel-Neuronen” verpasst.

Spiegelneuronen werden im Verlauf unseres Lebens aufgrund unserer Erfahrungen aktiviert und “aufgeladen”. Wir müssen also erst beobachten und erfahren, um anschließend nachempfinden und handeln zu können. Man denke an die berühmte Herd-Hand-Szene: Einmal auf die heiße Herdplatte gefasst, hat nicht nur zur Folge dass wir lernen, dass eine heiße Herdplatte zu Schmerzen führt, sondern lässt uns auch den Schmerz nachempfinden, wenn wir beobachten, dass jemand anderes seine Hand auf eine heiße Herdplatte legt. Wir empfinden den Schmerz quasi nach, erschrecken uns und sind fähig zu helfen, weil wir wissen und nachempfinden, was gegen den Schmerz hilft.

Unsere Prognosen von Handlungen anderer beruhen auf der Frage, was wir in einer solchen Situation tun würden. Die Spiegelneuronen dechiffrieren unsere Wahrnehmung und erzeugen in unserem Gehirn ein Spiegelbild, das uns entsprechend nachempfinden und auch handeln lässt. Wir erkennen quasi, was sich im Körper und Geist der anderen gerade abspielt. Der Anblick einer bestimmten Handlung aktiviert diese Nervenzellen und führt dazu, dass wir lernen, das Gesehene in eigenes Können und Gespür umzuwandeln oder eben anzuwenden und darauf zu reagieren.

Spiegelneuronen & wir

Es deutet bisher nichts darauf hin, dass wir nur eine begrenzte Zahl an Spiegelneuronen besitzen, die mit dem Erreichen eines bestimmten Lebensalters aufgebraucht wären. Insofern sind wir auch mit fortgeschrittenem Alter in der Lage, neue Spiegelneuronen zu bilden und aufzuladen, um uns in der Folge in bisher unbekannte Situationen und Perspektiven hineinzuversetzen, nachzuempfinden und entsprechend zu agieren. Wir können also fortlaufend neue Impulse aufnehmen und durch Eintauchen in andere Perspektiven lernen und uns weiterentwickeln. Dabei ist die Beobachtung von und das Zusammenarbeiten mit anderen Menschen von zentraler Bedeutung. Spiegelneuronen aktivieren bei uns Vorgänge, während wir Andere Handlungen durchführen sehen, wir saugen auf und lernen durch Beobachtung. Und spätestens dadurch, dass wir diese Handlungen nachahmen und imitieren, verinnerlichen wir sie dauerhaft und können sie später nachhaltig anwenden.

Die von mir aufgeführten und an den Prinzipien und Methoden von Social Media, Design Thinking, Service Design, Mediation und Supervision orientierten Prozesse und interaktiven Workshops knüpfen genau hier an. Und auch hier spielt das Spiegelneuronensystem eine ganz zentrale Rolle und sollte als theoretisches, biopsychologisches aber auch praktisches Fundament angesehen werden.

Jahrmillionen Evolution haben dieses hochempfindliche System hervorgebracht, das uns ermöglicht zu tun, was wir niemals allein tun könnten – ein gewaltiger evolutionärer Fortschritt. Anfangs mögen diese Interaktionen dazu gedient haben, schwere Gegenstände zu bewegen, Großwild zu jagen oder Verteidigungsmaßnahmen zu koordinieren. Jetzt nutzen wir sie, um in Arbeitsgruppen unsere technische Kultur weiterzuentwickeln, indem wir zusammenarbeiten und voneinander lernen.

(Keysers, Christian: Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen, S. 60)

Andere spielen, Andere sein

Old Shatterhand – um auf meine Helden-Metapher vom Beginn zurückzukommen – ist mit einigen unaufgeladenen Spiegelneuronen zu den Indianer gekommen. Während ihn die Apachen auf dem Krankenbett gesund pflegten, wurden die Spiegelneuronen in seinem Gehirn auf Grund seiner positiven Erfahrungen im Umgang mit den Indianern entsprechend aufgeladen. Er hat ihre Kultur, ihre Werte, ihre Denkweisen und ihre Probleme verinnerlicht. Nachdem Old Shatterhand die Indianer als Blutsbruder von Winnetou verließ, war er in der Lage, mit den Indianern mitzufühlen und sich für ihre Belange nachhaltig einzusetzen. Sie bildeten ein Team und kämpften mit einem einheitlichem Verständnis gemeinsam für die Belange der Indianer. Old Shatterhand wurde zu Winnetou und damit einer von ihnen.

Und manchmal „überträgt“ sich die Begeisterungsfähigkeit von Vätern für bestimmte Themen und Helden auf ihre Kinder, die sich quasi davon anstecken lassen und sie zu ihrer ganz eigenen Begeisterung anwachsen lassen.

Es bei der ganzen Sache nicht um separat anzusehende einzelne Aktionen, sondern vielmehr um eine grundlegende Haltung und Einstellung, die sich auch auf andere (Lebens)bereiche übertragen lässt. Ein Stückweit geht es sicherlich auch um Werte. Ja, es geht durchaus um eine Philosophie.
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So denn, lasst uns in die Mokassins schlüpfen und als Andere gemeinsam in den Spiegel sehen.

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